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29 Juni 2018, 14:59

„Komm und sieh!“ - Bundespräsident spricht zur Eröffnung der Gedenkstätte in Malyj Trostenez

MINSK, 29. Juni (BelTA) – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei der Einweihung der Gedenkstätte „Trostenez“ auf dem Territorium des ehemaligen Vernichtungslagers Malyj Trostenez der NS-Opfer gedacht und versprochen, das Wissend um die Nazi-Verbrechen im zweiten Weltkrieg lebendig zu halten.

„Der Schritt wird schwer und schwerer, je näher man diesem Ort kommt. Das Wissen um das, was an diesem Ort geschehen ist, wird zur tonnenschweren Last. Wer hierher kommt, der hat von den Verbrechen gelesen oder gehört, die hier von Deutschen an Belarussen, an ihren europäischen Nachbarn und an den eigenen Landsleuten begangen wurden. Er wird wissen, welche Spur der Verwüstung dieser letzte und grausame Krieg durch dieses Land gezogen hat. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung von Belarus hat die Zeit der deutschen Besatzung nicht überlebt“, sagte Bundespräsident.

Frank-Walter Steinmeier erinnerte an den berühmten Film von Elem Klimow "Komm und sieh!", der vor vielen Jahren, 1985, in den Kinos lief. „Es war das Jahr, in dem der Eiserne Vorhang begann, sich zu heben, und der Film dieses großartigen russischen Regisseurs wurde in ganz Europa gezeigt, im Osten wie im Westen. Er ist eine Begegnung mit dem Krieg. Nicht mit einem Krieg, wie man ihn bis dahin kannte. Nein, mit einem Krieg, der die Erinnerung an alle vorangegangenen auslöschen würde, der Generationen traumatisiert und das Gesicht unseres Kontinents entstellt hat: dem Vernichtungsfeldzug der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion“, stellte Steinmeier fest.

"Komm und sieh!" Ja, dieser Aufforderung nachzukommen, ist schwer. Es bleibt schwer. Wir erschrecken über hunderttausende Opfer, die dieses Inferno gefordert hat, die zu Namenlosen wurden, bevor man sie in Lager pferchte, vergaste oder gleich von der Rampe des Bahnsteigs in Malyj Trostenez an den Rand einer Grube führte, vor der man sie erschoss. Wir erschrecken über einen Krieg, der als Vernichtungskrieg geplant, befohlen und ausgeführt wurde. Belarus musste erleben, was das bedeutete. Mehr als 600 Dörfer wurden – samt ihrer Bewohner – ausgelöscht“, sagte der deutsche Gast.

Was damals geschehen sei, sei Menschenwerk gewesen, bemerkte Steinmeier. „Es trug deutsche Namen wie Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich, Erich von dem Bach-Zelewski oder Oskar Dirlewanger.“

„Dieser Ort, Malyj Trostenez, von der deutschen Wehrmacht in Besitz genommen als "Lebensraum im Osten", war ein Ort des Todes. Er lag am äußersten Ende einer Befehlskette, verzeichnet auf keiner Landkarte, aber auf einem Plan zur Endlösung der Judenfrage. Ihn in das historische Bewusstsein Europas zurückzuholen, ist ein lange überfälliger Schritt“, erklärte Bundespräsident. „Was hier geschehen ist, hat tiefe Wunden geschlagen. Sie sind sichtbar für alle, die sie sehen wollen. Komm und sieh! Diese Aufforderung – so schmerzhaft sie ist - gilt uns, den nachgeborenen Generationen.“

Frank-Walter Steinmeier ist sicher, dass die gemeinsame europäische Verantwortung für das "Nie wieder Krieg!" auf dem Wissen um das gründe, was Menschen – hier an diesem Ort – ihren Mitmenschen angetan hätten. Um so wichtig sei es, seine Geschichte zu lehren und zu lernen und sie jeder Generation neu zu vermitteln. „In dieses historische Gedächtnis der Europäer, vor allem aber in das deutsche, gehört zwingend auch die Geschichte von Belarus. Nach fast drei Jahrzehnten Unabhängigkeit ist es an der Zeit, dass das Land in unserem Bewusstsein und Verständnis aus dem Schatten der Sowjetunion tritt, vor allem aber, dass Belarus wahrgenommen wird als ein Staat mit einer eigenen Geschichte, Gegenwart und Zukunft.“

Die Gedenkstätte „Trostenez“ sei ein Schreckensort in der belarussischen Geschichte. Aber er stehe heute auch für ein gemeinsames Erinnern. Dieser Gedenkort, ebenso wie die gemeinsame Geschichtswerkstatt in Minsk sei das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen von belarussischen und deutschen Historikern und von zivilgesellschaftlichen Gruppen, wie dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Belarus und in Deutschland.

„Ohne die Bereitschaft Weißrusslands zur Versöhnung wäre diese Zusammenarbeit undenkbar. Wir dürfen niemals vergessen: Der deutsche Vernichtungskrieg hatte zum Ziel, dieses Land und die Menschen, die in ihm lebten, auszulöschen. Umso tiefer ist meine Demut, umso dankbarer bin ich den Menschen in Weißrussland für die Bereitschaft zur Versöhnung“, hob Steinmeier hervor.

In Deutschland habe es lange, viel zu lange gedauert, sich an diese Verbrechen zu erinnern, gab er zu. „Lange, zu lange haben wir gebraucht, uns zur Verantwortung zu bekennen. Heute besteht die Verantwortung darin, das Wissen um das, was hier geschah, lebendig zu halten. Ich versichere Ihnen, wir werden diese Verantwortung auch gegen jene verteidigen, die sagen, sie werde abgegolten durch verstrichene Zeit. "Komm und sieh!" ist eine Verpflichtung, die niemals erlischt. Und so stehe ich heute vor Ihnen – als Bundespräsident, als Deutscher und als Mensch – dankbar für die Zeichen der Versöhnung und voll Scham und Trauer über das Leid, das Deutsche über Ihr Land gebracht haben“, resümierte Steinmeier.

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