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07 Februar 2017, 11:56

Reportage: Im Inneren des „Nuklearherzens“

Über 5000 Menschen sind heute beim Bau des ersten belarussischen Kernkraftwerks bei Ostrowez (Grodno) beschäftigt. Es besteht aus zwei Reaktorblöcken des WWER-Typs. Im Reaktorgebäude und im Maschinenhaus des ersten Blocks werden zurzeit die Hauptanlagen montiert. In Kürze soll auch die Montage des Druckbehälters beginnen. Ende des vorigen Jahres hat das „Nuklearherz“ des Kernkraftwerks einen 2,5 Tausend langen Weg zu Wasser und zu Lande zurückgelegt – vom Herstellerbetrieb im russischen Wolgodonsk zum Bauplatz in Ostrowez. Der Staatsbetrieb „Belarussisches AKW“ meldete dabei einen Zwischenfall: Auf dem Weg zum Bauplatz hat die Schutzummantelung des Druckbehälters ein Fahrleitungsmast leicht gestreift. Die Experten überprüften das Teil auf mögliche Störungen und haben keine nachgewiesen. Die Presse darf den Bauplatz und das Reaktorgebäude ungehindert betreten – hier will niemand etwas geheim halten. Ein Blick in das Innere des Atomkraftwerks gibt Aufschluss über den aktuellen Stand des KKW-Baus in Ostrowez.

Anatoli Bondar, Chefingenieur des Staatsbetriebs „Belarussisches AKW“: „Wir haben zum heutigen Zeitpunkt Bau- und Montagearbeiten zu etwa 38 Prozent abgeschlossen. Dabei sind fast 80 Prozent aller Bauauftragnehmer belarussische Unternehmen oder Firmen. Die Hauptanlagen für den ersten Reaktorblock und Kraftwerkobjekte sind bereits erworben, auch am zweiten Reaktorblock werden die Vorbereitungsarbeiten durchgeführt. Im ersten Reaktorblock haben wir mit der Montage des Druckbehälters und der Dampferzeuger angefangen. Druckhalter, Primärwasserpumpen und Hauptkühlwasserspeicher wurden in eine Sollposition gebracht. Zusammen mit Generalprojektant des Kraftwerks und Generalkonstrukteur der Reaktoranlage beraten wir im Moment über eine optimale Montagefolge der Anlagen. Die Eingangsprüfung des Druckbehälters und seiner Teile hat keine Beanstandungen ergeben, das bestätigen auch Experten der Atomenergiebehörde. Im Maschinenhaus werden derzeit aktiv Turbinen montiert.“

Alle Anlagen und Maschinen werden aufs Genaueste geprüft, ehe sie auf den Bauplatz in Ostrowez geliefert werden. Belarussische Atomexperten besuchen dafür entsprechende Herstellerbetriebe und führen Qualitätskontrollen durch. Bondar weiter: „Unsere Experten reisen sehr oft zu Inspektionszwecken – sie besuchen Herstellerbetriebe, wo sie zusätzliche Abnahmeprüfungen durchführen. Das sind nicht nur russische Werke, sondern auch die im Ausland. Wir exportieren von dort einzelne Maschinen für Primär- und Sekundärkreisläufe“.

Es ist wichtig, nicht nur Reaktorblöcke termingerecht in Betrieb zu nehmen, sondern auch die gesamte Kraftwerkinfrastruktur rechtzeitig fertig zu bauen, weil man Energie- und Wasserversorgung für den eigenen Bedarf braucht.

Im Moment werden zwei wichtige Berichte vorbereitet: ein Abschlussbericht der SEED-Mission der IAEA, die im Januar den Bauplatz besucht hat, und ein AKW-Länderbericht zu Stresstests. „Wir werden den Stresstest-Bericht analysieren und an die Atomenergiebehörde weiterleiten, um einen Länderbericht zur AKW-Sicherheit vorzulegen“, sagt Hauptingenieur.

Auf dem AKW-Bauplatz in Ostrowez zeigt Alexander Kanjuka, Leiter des Reaktorgebäudes, den angelieferten Reaktordruckbehälter. Der metallene Körper weist keinerlei Defekte auf – davon können sich alle anwesenden Journalisen überzeugen lassen.

„Die Sicherheit des Kraftwerks wird auf allen Stufen gewährleistet – von Projektanalyse, Bau der Hauptobjekte, Herstellung und Montage, Inbetriebnahme und Betrieb der Anlagen. Für Sicherheitskontrollen ist nicht nur der AKW-Betreiber selbst zuständig, auch verschiedene Aufsichtsbehörden führen solche Kontrollinspektionen durch“, betont Leiter des Reaktorgebäudes.

In Kürze werden zwei Transportwagen am Eingangsportal den Druckbehälter in den Montageraum bringen. Später, im Verlauf des AKW-Betriebs, werden durch dieses Eingangsportal neue Kernbrennelemente eingeführt und ausgebrannte Brennelemente abtransportiert.

Das Reaktorgebäude hat eine Innentemperatur +26 Grad Celsius.

Wir nutzen die einmalige Chance für einen Besuch: Heute zugänglich wird dieser Raum nach Inbetriebnahme des Reaktors eine Zone mit eingeschränktem Zugang sein. Mit anderen Worten ein hermetisch abgedichteter Raum. Zahlreiche Sensoren und Videoüberwachungssysteme werden hier Temperatur, Druck, Feuchtigkeit, Strahlung und andere Parameter automatisch kontrollieren. Wer diese Zone notfalls betreten will, wird sich als ein „Astronaut“ verkleiden müssen: Das Betreten dieser Zone ist nur in einem speziellen Schutzanzug und durch eine hermetische Schleuse erlaubt.

Innerhalb des Reaktorgebäudes befindet sich ein Brennstofflagerbecken, wo abgebrannte Brennelemente bis zu 10 Jahren gelagert werden können. Für eine komplette Brennstoffausladung sind alle Möglichkeiten geschaffen. Strickt nach IAEA-Forderungen wird im belarussischen Atomkraftwerk auch das Brennstoffmanagement eingeführt.

Alexander Kanjuka hat an der Inbetriebnahme von Atomkraftwerken in Indien und China teilgenommen. Spezialist mit Auslandserfahrung versichert, dass das belarussische Kernkraftwerk die sicherste Atomanlage sein wird, weil man sich hier an alle Sicherheitsnormen strickt festhält. „Wir haben aus den Fehlern von Fukushima sehr viel gelernt. Das Projekt „AKW-2006“ mit einem Wasser-Wasser-Energie-Reaktor ist das sicherste seiner Art. Sein Druckbehälter ist von zwei ineinander geschachtelten Sicherheitsbehältern umgeben – sie dienen dem Abschluss verschiedener Betriebsbereiche gegeneinander und nach außen. Im Kraftwerks sind Sicherheitssysteme zur Beherrschung von Auslegungsstörfällen vorgesehen“.

Auch im zweiten Reaktorblock dauern Vorbereitungsarbeiten an.

Im Maschinenhaus des Atomkraftwerks erzählt Leiter der Turbinenhalle Anatoli Rakatsch über die laufenden Montagearbeiten: „Für den ersten Reaktorblock sind alle Hauptanlagen angeliefert. Die Kontrollmontage der Turbinenlager und der Turbinengehäuse ist abgeschlossen. In Kürze beginnen wir mit der Montage des Turboaggregats. Diese Arbeit wird uns etwa 12 Monate in Anspruch nehmen, weil es sich beim Turboaggregat um sehr komplizierte Konstruktionen handelt. Mit dem Einbau von Rotoren muss man ebenfalls sehr akkurat vorgehen. Zentrales Ereignis wird der erste Testlauf der Turbine und der Netzanschluss des Generators sein."

Im Maschinenhaus werden über 130 Personen beschäftigt, für die Bedienung der Turbinen sind bereits 60 Operatoren angestellt worden. Viele von ihnen haben das notwendige Wissen in belarussischen Wärmekraftwerken, in russischen und ukrainischen Atomkraftwerken erworben. Auch Absolventen belarussischer Universitäten gehören zum künftigen Personalteam der Nuklearanlage.

Das Personal des Maschinenhauses nimmt sehr aktiv an der Kontrolle der Produktionsqualität, an Eingangsprüfungen und technischer Betreuung von Anlagenmontagen teil und bildet sich gleichzeitig im Schulungs- und Trainingszentrum des belarussischen Atomkraftwerks aus. Regelmäßige Fortbildungen im AKW Nowoworonesh sind bereits Routine.

Alexander Jerin, stellvertretender Leiter des Schulungs- und Trainingszentrums: "In diesem Jahr werden in unserem Zentrum rund 300 Spezialisten vorbereitet, mehr als 100 von ihnen werden entsprechende praktische Kenntnisse im Reaktorblock 6 des im Betrieb befindlichen Kernkraftwerks in Nowoworonesh erhalten. Spezialisten einheimischer Wärmekraftwerke werden in Russland zu Atomspezialisten umgebildet.

Praktische Übungen an einem Simulator, der den technischen Stand des Kernkraftwerks exakt abbildet, sind unverzichtbarer Teil der Aus- und Weiterbildung des Personals. Simulationsübungen sind die wirksamste Methode, den KKW-Betrieb zu beherrschen. Einbau eines solchen Simulators ist mit Investitionen in Atomsicherheit gleichzusetzen. Das erste belarussische Kernkraftwerk hat seine eigene Simulationsanlage - und die praktischen Übungen haben oberste Priorität.

Der Simulator bildet das Blocksteuerpult des Atomkraftwerks aufs Genaueste ab, selbst Telefonfarbe sowie Ein- und Notausgänge sind wie im realen Kraftwerk, geschweige denn die Anordnung von Tasten, Schalttafeln, Bedienungselementen und Anzeigeleuchten. Über 60 Unfall-Szenarien können an so einem Simulator abgespielt und untersucht werden. Praktisches Können eignen sich hier die künftigen Operatoren unter Leitung russischer Instrukteure aus dem Schulungs- und Trainingszentrum Nowoworonesh an. Gleichzeitig findet die Ausbildung belarussischer Instrukteure statt. Im Moment werden hier Spezialisten in 4 Gruppen je 8 Personen vorbereitet.

In der nächsten Zeit werden für Spezialisten anderer Fachrichtungen lokale Simulatoren angeschafft. Vor der eigentlichen Inbetriebnahme des Kraftwerks stehen dem Personal noch Dutzende Übungsstunden und harte Prüfungen bevor, ehe es zur verantwortlichen Arbeit zugelassen wird.

Foto Andrej Pokumejko

BELTA

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