
Am 26. April 1986 ereignete sich die größte technogene Katastrophe in der Geschichte der Menschheit - der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl. Insgesamt fünf Millionen Menschen waren von der Katastrophe und ihren Folgen betroffen. Infolge des Unfalls wurden 56 Landeskreise - fast ein Viertel von Belarus - mit Cäsium-137 verseucht. Doch dank der Menschen, die sich weigerten, ihre Heimat zu verlassen, und dank der enormen Unterstützung des Staates kehren diese Gebiete nicht nur zu einem normalen Leben zurück, sondern werden auch zu einem Modell für andere Regionen des Landes.

Wie überwindet Belarus die Folgen des Tschernobyl-Unfalls
Das Reaktorunglück von Tschernobyl liegt 37 Jahre zurück. Wenn wir uns an die Katastrophe erinnern, sprechen wir üblicherweise - und zu Recht - über ihre unumkehrbaren Folgen, das tragische Schicksal der Liquidatoren und der Bewohner der umliegenden Dörfer. Aber vielleicht ist es an der Zeit, wie man so schön sagt, das Blatt zu wenden und in die Zukunft zu blicken? Dies gilt umso mehr, als die Fakten dies zulassen. In den vergangenen Jahren hat sich die Fläche der Cäsium-137-Kontamination in Belarus fast halbiert, von 23% auf 12,3% der Gesamtfläche des Landes.
Die Republik Belarus hat bei der Überwindung der Folgen der Katastrophe vier große Phasen durchlaufen. Die erste „heiße“ Phase fand in den Jahren der Sowjetunion statt. Neulich besuchten wir eine der am stärksten betroffenen Städte - Tschetschersk. Nach dem Unglück war das Schicksal des gesamten Kreises, dessen Bevölkerung um die Hälfte geschrumpft war, ungewiss. Doch trotz düsterer Prognosen haben die Menschen ihre Häuser nicht verlassen und leben hier jetzt nicht schlechter als in den anderen Städten.
„Ich war 11 Jahre alt, als das Unglück in Tschernobyl passierte. In diesem Alter war es irgendwie leichter, alles zu ertragen. Wir Teenager und alle Kinder wurden sofort für den ganzen Sommer in Sanatorien und Lager gebracht. Man konnte eine Art von Panik spüren. Wahrscheinlich wegen der Ungewissheit. Gleichzeitig verlief alles in geordneter, ruhiger Weise. Aber die Aufregung war durchaus vorhanden. Mein Land, unsere Region hat das alles überlebt. Natürlich nicht ohne die staatliche Hilfe. Kolossale Investitionen, kolossale Fürsorge. Das war damals zu spüren und ist heute zu spüren. Die medizinische Untersuchung, die Erholungsmöglichkeiten und soziale Unterstützung“, erzählt Swetlana Tschernowa, die in Tschetschersk wohnt und das regionale Bildungs- und Methodikzentrum leitet.
Anna Maloletnikova, stellvertretende Direktorin der Zentralbibliothek in Tschetschersk, nahm nach dem Schulabschluss ein Studium in Minsk auf. Als angehende Fachkraft kehrte sie in ihre Heimatstadt Tschetschersk zurück. Den 26. April 1986 wird Anna wohl nie vergessen.

„Das Leben ging seinen Gang. Es war sehr warm, die Menschen waren mit dem Anlegen von Gemüsegärten beschäftigt. In der Sportschule bereiteten wir uns auf die Feierlichkeiten zum 1. Mai vor. An diesem Tag bemerkten wir, dass es auf dem Platz viele Pollen gab. Die Feierlichkeiten gingen weiter, und erst Anfang Mai erfuhren wir, dass es einen Unfall gegeben hatte, dass es sehr gefährlich war“, erzählte sie. „Es wurde ein Befehl erlassen, und wir wurden mit den Lehrern in das Gebiet Krasnodar geschickt. Wenn ich mich an diesen Tag erinnere, kommt es mir vor, als würde ich Filme über den Kriegsbeginn sehen. Die Kinder weinten und die Eltern weinten. Buchstäblich jeder wurde evakuiert.“
Die zweite Etappe bei der Bewältigung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe war die Durchführung von Schutzmaßnahmen. In bestimmten Bereichen laufen sie immer noch. Die dritte Etappe ist die Sanierung der kontaminierten Gebiete. Und seit 15 Jahren ist die vierte Etappe - die Wiederbelebung der betroffenen Regionen - im Gange.
„Der Staat unternimmt sehr viel in dieser Region. Nach dem Unfall wurden hier immer enorme Mittel investiert. Sie wurden vor allem in vier Bereichen eingesetzt: Sozialer Schutz der Bevölkerung, soziale und wirtschaftliche Entwicklung, Schutzmaßnahmen und wissenschaftliche Arbeit und die Aufklärung der Bevölkerung“, sagte Leiterin der Gosatomnadsor Olga Lugowskaja.
Warum weigerten sich die Menschen in Belarus, ihre Städte nach dem Tschernobyl-Unfall zu verlassen
Seit der Tschernobyl-Katastrophe wurden 265 Tausend Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche aus der wirtschaftlichen Nutzung genommen. Dabei waren viele von ihnen sehr fruchtbar. In den 1990er Jahren wurde die Landwirtschaft auf diesen Flächen allmählich wieder aufgenommen. In den letzten Jahren wurden etwa 20 000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen wieder landwirtschaftlich genutzt.
„Ich erinnere mich an diesen Tag als wäre es heute. Es war sehr heiß und windig. Unser Auftrag war, Kartoffeln zu sortieren. Danach haben wir geduscht und erhielten einen Anruf: In Tschernobyl wurde ein Unglck passiert. Und ich musste die Umsiedlung koordinieren. Es tut mir noch heute weh, wenn ich mich daran erinnere“, erzählte Walentina Kowaljowa, die ehemalige Vorsitzende des Leninski Dorfrats von Tschetschersk.

Sie erinnert sich insbesondere an die Umsiedlung des Dorfes Sebrowitschi. Anfang der 1990er Jahre wurden 128 Familien von hier in saubere Regionen umgesiedelt. „Die Wirtschaft war führend und hatte prächtige Gärten, Erdbeeren-Plantagen. Man war stolz auf die Fischerei. Und meine Aufgabe bestand darin, die Menschen quasi zu vertreiben. Die Jugend hat dabei weniger gelitten, für die Älteren war die Umsiedlung sehr schmerzhaft. Es gab ein Meer von Tränen.“
Fast 20 Milliarden Dollar wurden in staatliche Programme zur Bewältigung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe investiert, und die sozioökonomische Entwicklung der betroffenen Regionen konzentriert sich auf den Bau wichtiger Einrichtungen. Dies ermöglicht es, die Zahl der Arbeitsplätze zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es werden neue Wohnungen gebaut, Häuser werden an Gasversorgung angeschlossen. Große Aufmerksamkeit wird dem Bau von landwirtschaftlichen Einrichtungen gewidmet - Milchviehbetriebe und Getreidetrocknungskomplexe. Mehr als 20 Einrichtungen des Gesundheitswesens wurden rekonstruiert und gebaut.
„Menschen, die hier dauerhaft leben, haben die Unterstützung des Staates zu spüren bekommen und bekommen sie auch heute noch. Allmählich wird das Leben in unseren Kreisen besser. Es wurde viel Geld ausgegeben, damit es den Menschen, die hier leben, an nichts fehlt. Es ging sowohl um die Unterstützung der Landwirtschaft als auch um die medizinische Versorgung. Es wurde viel in der Region getan. Heute haben wir eine wunderbare Poliklinik, eine wunderbare Schule und wunderbare Lehrer“, sagte Anna Maloletnikowa. „Wir sind auch froh, dass unsere Kinder jetzt in ihre Heimat zurückkommen und hier arbeiten. Mit anderen Worten, das Leben geht weiter“.

Tschetschersk ist in der Tat eine saubere und schöne Stadt. All das, so betonen die Einheimischen, verdanken wir den Menschen, die hier geblieben sind, und den Neuankömmlingen.

Wofür dankt Lukaschenko den Einheimischen
Wenn der Präsident die betroffenen Regionen besucht, dankt er den Menschen dafür, dass sie ihre Häuser nicht verlassen haben. „Danke, dass ihr an eure Stadt geglaubt habt. Dafür, dass ihr eure Stadt nicht aufgegeben habt. Lasst uns darüber nachdenken, was wir für euch tun können, wenn ihr hier leben wollt“, sagte er auf einer solchen Reise in den 2000er Jahren.
Stellen Sie sich vor: Wenn die Menschen seinerzeit diese Gebiete verlassen hätten, wenn es diese staatliche Unterstützung nicht gegeben hätte, würde heute ein großer Teil des Landes erbärmlich vernachlässigt aussehen und aussterben. Deshalb bedankt sich Alexander Lukaschenko jedes Jahr, wenn er die betroffenen Gebiete besucht, bei den Einwohnern dafür, dass sie nicht in Panik und Angst verfallen sind.
„Wir werden der Wiederbelebung dieser Bezirke und dieser Region Vorrang einräumen. Damit die Menschen Arbeit haben, damit sie anständige Löhne bekommen. Und zwar nicht nur für die jetzige Generation, sondern auch für die künftige Generation. Wenn jemandem etwas fehlt, vor allem bei Unternehmensgründung oder bei Einrichting von Jobs, dann sollte er das sagen. Aber in diesem Jahr beginnen wir damit, diese Gebiete wieder zu beleben. Und zwar sehr schnell und effektiv“, sagte das Staatsoberhaupt 2009.
10 Jahre später sagte Alexander Lukaschenko: Die Belarussen haben die Tschernobyl-Katastrophe in den Sand gesetzt.

„Ich bin sehr dankbar, dass Sie auf mich, einen sehr jungen unerfahrenen Staatschef gehört haben, als ich sagte: "Nein, wir werden unser Land niemandem geben. Wir werden hier leben, wir werden alles tun, damit unsere Leute hier leben und arbeiten". Die wichtigste Schlussfolgerung ist: Man darf nie aufgeben. Man muss bis zum Ende kämpfen und dann wird der Sieg kommen. Ich will nicht sagen, dass wir Tschernobyl besiegt haben, aber wir haben ihm einen ordentlichen Tritt in die Fresse verpasst. Wir haben die Aufgabe gemeistert“, sagte der Präsident bei seinem Besuch in Tschetschersk im Jahr 2022.
Haben die betroffenen Regionen eine Zukunft?
Alle fünf Jahre veröffentlicht Belarus eine Liste von Siedlungen, die in radioaktiv verseuchten Gebieten liegen. Im Jahr 2021 waren es etwas mehr als 2 000. Heute leben dort 945.000 Menschen. Im Vergleich zu 2016 ist die Zahl der Städte und Dörfer in der "schmutzigen Zone" deutlich zurückgegangen.

„Für jede Ortschaft haben wir das Jahr berechnet, in dem sie die Kontaminationszone wechselt und sich immer weiter in Richtung „sauberes Gebiet“ bewegt. Soweit ich mich erinnere, ist das Jahr 2090 der am weitesten entfernte Zeitpunkt, wo auf dieser Liste keine Ortschaft mehr stehen soll. Aber solche Siedlungen gibt es nur sehr wenige, vielleicht ein paar Dutzend. Die meisten von ihnen befinden sich in den Zeitgrenzen 2030 bis 2040", sagte Marija Germentschuk, stellvertretende Direktorin für wissenschaftliche Arbeit des Internationalen Staatlichen Sacharow-Umweltinstituts der Belarussischen Staatlichen Universität.
Heute müsse man nicht nur über die Bewältigung von Umweltfolgen sprechen, sondern auch über die Entwicklung der vom Tschernobyl-Unfall betroffenen Regionen. „Wir sollten schon verstehen, wie wir aus dem, was wir haben, Nutzen ziehen können. Wir leben in verstrahlten Regionen. Wir können der Strahlung nicht entkommen, aber wir müssen leben. Wir haben kein Recht, den Untergang heraufzubeschwören, im Sinne „alles ist schlecht und es wird nie wieder gut sein.“ Nein, so kann es nicht sein. Generell ist diese Situation für unsere belarussische Mentalität absolut inakzeptabel. Wir überleben unter allen Bedingungen und finden immer irgendeine Variante, einen akzeptablen Weg, manchmal unerwartet, um für uns, unsere Familie und unsere Siedlung zu sorgen, damit es so wird, wie wir es uns wünschen.“

Ja, es wird nicht ein Jahr oder gar 10 Jahre dauern, bis die betroffenen Gebiete vollständig gereinigt sind. Aber es ist klar: Diese Gebiete haben eine Zukunft. Dank der gemeinsamen Entscheidungen von Staat und Bevölkerung.