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18 November 2023, 14:32

„Die Hauptsache wäre, dass wir hier sicher sind“: Die Familie von Mahdi aus dem zerstörten Gaza beginnt ihr neues Leben in Nowopolozk

Ein Belavia-Flugzeug brachte am Vortag die aus dem Gazastreifen evakuierten Belarussen und ihre Familienangehörigen nach Minsk. Die Gaza-Bewohner bezeichnen die Ereignisse, die sich dort abspielen, als eine Hölle. Die angespannten palästinensisch-israelischen Beziehungen wurden durch den Anfang Oktober ausgebrochenen Konflikt erschwert. Die Zivilbevölkerung wird weiterhin Opfer von allerlei Angriffen. Die Überlebenden mussten in Gaza ohne Wasser, Strom und Verbindungsmittel verbleiben. Belarus konnte von ihrem Unglück keinen Abstand nehmen: Der Präsident ordnete an, belarussische Bürger mit ihren Familien in unser Land zu bringen. Das Amt für humanitäre Hilfe evakuierte 41 Personen, die Hälfte davon sind Kinder. Unter den Eingetroffenen sind auch die Verwandten von Faris Mahdi: seine Mutter, sein Vater und seine beiden jüngeren Brüder. Am frühen Morgen des 17. November kamen sie in Nowopolozk an und später am Abend traf sich die Familie mit den Beamten der Stadtverwaltung und Vertretern der öffentlichen Verbände.

Das Ehepaar Mahdi und ihre beiden Söhne sind in der Wohnung ihres ältesten Sohnes Fars, der als Zahnarzt in der örtlichen Poliklinik berufstätig ist, zum Aufenthalt. Faris konnte seine Verwandten am Abend zuvor am Flughafen in Minsk abholen. Er versteckte einen Blumenstrauß für seine Mutter, den er ihr erst nach einer herzlichen Umarmung übergab. Gegen 5 Uhr morgens am 17. November kam die Familie in Nowopolozk an.

"Ich begrüßte sie mit den Worten: 'Oh, meine Lieben, ihr seid am Leben, kommt zu mir'", erzählt Faris von seinen Gefühlen nach den ersten Sekunden der Begegnung. „Und sofort, versteht ihr, begann ich meine Verwandten zu umarmen. Natürlich hat der Mensch einen Körper, aber wenn man mit dem Herzen und der Seele schaut, ist er zwischen Verwandten und geliebten Menschen aufgeteilt. Und wenn man diesen Teil zu sich selbst zurückbringt, fühlt man sich viel wärmer. Man kann Glück inne fühlen.“

Am Nachmittag des 16. November erfährt Faris, dass seine Familie gerettet ist und sich an Bord eines Flugzeugs befindet, das nach Belarus fliegt. Er bekommt einen Anruf und wird unterrichtet, wie er weitervorgehen sollte. "Ich war schockiert. Ich erwartete das nicht und konnte nicht glauben, dass alles doch so passierte. Ich war so glücklich, dass ich einfach außer Fassung war. Ich wartete auf den Zeitpunkt, als ich sie sehen kann", erinnert sich Faris.

Die Eltern von Faris sind Ärzte. Die beiden haben die Staatliche medizinische Universität in Witebsk absolviert. Faris Vater ist HNO-Arzt und seine Mutter ist Geburtshelferin und Gynäkologin. Die Familie einer Belarussin und eines Palästinensers lebt seit 20 Jahren im Gazastreifen. Heute sind sie mit ihrem mittleren und jüngsten Sohn zurückgekehrt: Jusif ist 21 Jahre alt, Amir 19.

"In meiner Heimatstadt Nowopolozk ist es sauber und ordentlich genauso, wie es normalerweise im ganzen Belarus ist. Die Stadt ist aufgebaut worden, es gibt viele gute Hochhäuser, Supermärkte, alles ist gut ausgestattet. Man hat das Gefühl, ein Land hätte einen echten Vater, der sich um seine Familie kümmerte", teilt Tallina Mahdi ihre ersten Eindrücke von ihrer Heimatstadt Nowopolozk. Das Wichtigste sei, dass es friedlich und ruhig ist, fügt ihr Mann Nidal hinzu. "Jedes Mal, wenn wir nach Belarus kommen, ist es immer ordentlich, ruhig und sicher", macht der Mann aufmerksam.

Die Familie Mahdi konnte ein breites Spektrum an Emotionen erleben: von überwältigender Angst und einem Schock unter den Bombenangriffen bis hin zu völliger Gelassenheit, als sie bereits unter einem friedlichen Himmel waren. Vor kurzem trafen Geschosskörper ins Krankenhaus, in dem Nidal tätig war.

"Wo immer du bist, kann der Tod dich einholen: in einem Haus, auf einer Straße, überall. Der Weg vom Evakuierungsort zum Grenzübergang war sehr gefährlich. Man konnte jeden Moment getroffen sein, auch wenn man nicht direkt bombardiert wird, sondern geschieht das irgendwo in der Nähe. Aber alles ist schon vorbei. Wir sind hier", sagt das Familienoberhaupt.

Er sagt, in ihrer Heimatstadt hätten sie ständig, alle 40 Tage lang, Angst empfunden: "Es hörte nicht auf. Und zwar das waren nicht solche Angriffe, die man nur irgendwo in der Ferne hören kann, sondern wenn eine Bombe geworfen wird, wackelten alle Gebäude drum herum. Es wurde jede Sekunde bombardiert! Das geschah über deinem Kopf, Drohnen flogen. Und du weißt nicht, wo man gleich bombardieren will. Der Tod kann dich jede Sekunde erreichen. Wir sind von der Hölle in den Himmel gekommen."

Jetzt seien alle Mahdis von widersprüchlichen Gefühlen überwältigt, sagt Tallina. "Natürlich ist es sowohl Freude als auch Verzweiflung. Und unser krankes, verwundetes Herz bleibt in unserer Brust, denn unsere Verwandten, Kollegen und Freunde sind immer noch da. Die Welt hat ihr menschliches Gesicht verloren. Anstelle eines Herzens gibt es einen Klumpen, und anstelle einer Seele herrscht die Dunkelheit. Was jetzt in Gaza vor sich geht, ist einfach beängstigend", meint sie. „Meine Kollegen - Ärzte - erweisen so viel Patriotismus und berufliche Kompetenz. Die Israelis haben alle gewarnt, das Krankenhaus zu verlassen, weil sie es bombardieren wollen. Unser 29-jähriger Kollege hat es nicht verlassen, er sagte, er könne seine Patienten nicht alleine lassen. Es wurde bombardiert. Alle sind ums Leben gekommen.“

Während die Familie in der Konfliktzone war, verfolgte Faris die Geschehnisse über soziale Netzwerke und Massenmedien. Er sagt, dass er anfangs mit seinen Verwandten häufiger in Kontakt treten konnte, aber als die schweren Bombardierungen begannen, ist es immer schwieriger geworden. "Etwa nach einer Woche war jegliche Verbindung praktisch unmöglich, man konnte die Verwandten nur noch einmal am Tag kontaktieren, und dann erst mittels internationaler SMS. Ein Telefonanruf war ein Segen, aber das Signal war unregelmäßig", sagt Faris.

Jetzt hätten alle Mahdi viele Angelegenheiten zu erledigen. Zum Wohnen hätten sie eine Unterkunft, aber bei der Ankunft sei es aufgefallen, dass sie nur wenig Gepäck mithätten und nicht dem Wetter entsprechend gekleidet seien, hat man beim Exekutivkomitee der Stadt Nowopolozk hingewiesen. Die Vertreter der öffentlichen Verbände erkundigten sich sofort nach den Größen, um geeignete Kleidung und Schuhe anzubieten. Nach dem Treffen, bei dem alle dringenden Fragen erörtert wurden, darunter Unterkunft, Ausbildung und Beschäftigung, begab sich die Familie zur Stadtorganisation der Belarussischen Rotkreuzgesellschaft, wo jeder zum ersten Mal warme Kleidung auswählen konnte.

"Das weitere Vorgehen ist wie folgt: Zuerst müssen sie zum Migrationsamt in Witebsk. Soweit ich weiß, sind die Familienmitglieder die Staatsbürger der Republik Belarus. Aber wir sind bereit, ihnen zu helfen. Sie können bei unserer Hauptorganisation Lebensmittel und Hygieneartikel erhalten, und bei uns in der Niederlassung von Nowopolozk können sie Oberbekleidung, Bettwäsche und alles, was sie an Kleidung und Schuhen benötigen, wählen", erläutert Olga Rogowskaja, die Vorsitzende der Stadtorganisation von Nowopolozk der Belarussischen Rotkreuzgesellschaft.

Wenn die Familie der medizinischen Fachkräfte in Zukunft beschließt, in einem örtlichen Krankenhaus oder einer anderen Gesundheitseinrichtung zu arbeiten, ist solch hochqualifiziertes Personal hier willkommen, versichert Irina Schemenkowa, Chefärztin des Zentralen Klinischen Krankenhauses Nowopolozk. Die erste und wichtigste Voraussetzung sei aber, dass die Ehepartner ein Diplom der Universität Witebsk besitzen. Da Mahdis Berufserfahrung gerade in Belarus unterbrochen wurde, haben sie ihr Diplom nachzuweisen.

"Es handelt sich um die Familie eines Zahnarztes, der seit langem bei uns berufstätig ist und sehr geschätzt wird. Wir alle haben uns große Sorgen um ihn und seine Familie gemacht. Als diese Ereignisse kamen, waren wir bereit, jede Unterstützung unsererseits zu leisten. Was die Kollegen angeht, so gibt es in unserer Einrichtung (und nicht nur bei uns) Stellen für sie, wenn sie sich einmal wünschten", sagte Irina Schemenkowa. „Unsere Mitarbeiter werden auch nicht gleichgültig bleiben, und ich glaube, wir können notwendige Sachen für sie sammeln und vielleicht auch materielle Hilfe leisten."

Die Mahdis selbst sagten unmittelbar nach ihrer Ankunft, dass sie kaum eine Vorstellung davon hätten, welche Art von Hilfe sie benötigen würden. Sie sind nur froh, dass sie aus dem Gaza-Streifen zurückkehren konnten. Und sprechen dem Präsidenten von Belarus, auf dessen Anordnung der Evakuierungsflug organisiert wurde, und allen Beteiligten die Worte tiefer Dankbarkeit aus.

"Er ist ein tolles Staatsoberhaupt und eine bemerkenswerte Persönlichkeit, die alles getan hat, damit die Evakuierungsaktion fachgerecht zustande kommen konnte. Ich bin Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko sehr dankbar, dass er sich dieser Sache so ernsthaft angenommen hat. Vielen Dank und eine tiefe Verbeugung vor allen, die daran beteiligt waren: Mitarbeitern des Ministeriums für Notfallsituationen, staatlichen Behörden und Einrichtungen, die versuchten, uns zu helfen. Wir haben ehrlich gesagt nicht mit einem solchen Empfang gerechnet. Jetzt bin ich einer der glücklichsten Menschen auf der Welt, denn ein Treffen mit Angehörigen ist ein sehr wichtiges Ereignis, vor allem wenn man weiß, dass ihr Leben bedroht ist. Ich hoffe, dass wir hier in Belarus mit unserem Leben zurechtkommen können. Die Hauptsache wäre, dass es hier sicher und ruhig ist und, dass ich keine Angst mehr haben muss, einen meiner Angehörigen zu verlieren", so Nidal Mahdi.

Das Außenministerium berichtete zuvor, dass die belarussische Seite in Kontakt mit ihren Amtskollegen aus Israel und Ägypten sowie mit Unterstützung von Russland und Katar daran gearbeitet hat, die Ausreise belarussischer Staatsbürger und ihrer Familienangehörigen aus dem Gazastreifen zu organisieren. Es handelte sich um die Evakuierung belarussischer Bürger, die über den Grenzübergang Rafah ins ägyptische Hoheitsgebiet gelangen sind. Am Vortag war ein humanitärer Belavia-Flug mit Ärzten und Psychologen der republikanischen Einsatzeinheit "Subr" des Ministeriums für Notfallsituationen an Bord in Richtung Ägypten geflogen, um belarussische Staatsangehörige abzuholen. Das Flugzeug ist gestern Abend erfolgreich in Minsk eingetroffen.

"Wir bedanken uns bei allen Mitarbeitern und Diplomaten für ihre Hilfe während der Evakuierung. Sie sind mit uns gereist und haben auf jedes Detail geachtet, damit es uns gut ginge und wir uns wohl fühlten", betont Nidal.

Jetzt wagt die Familie Mahdi kaum, Pläne für die Zukunft zu machen. Man braucht Zeit. Wie sie selbst gestehen, „haben wir erst einmal alles besinnen". Dann könnten sie sich für einen Job für den Vater und die Mutter und für ein Studium für den mittleren und den jüngsten Sohn entscheiden. Jusif studiert Programmieren an einer örtlichen Universität, Amir interessiert sich ebenfalls für IT. In Belarus können sie in diesem Sinne Hilfe bekommen. "Wir brauchen mindestens einen Monat, um die Lage ein bisschen zu klären", sagt Tallina Mahdi.

Nidal fügt sofort hinzu: "In diesen Tagen ist unser Leben auf den Kopf gestellt worden. Wir haben dort Vieles verloren: unser Zuhause, unsere Arbeit, unser altes Leben."

In Gaza sind Nidals Mutter, seine Brüder, Schwestern mit ihren Kindern geblieben. Leider kann ich nichts tun, um ihnen zu helfen", sagt der Mann und kann seine Tränen nicht verbergen. „Ich konnte nur noch diesen kleinen Teil meiner Familie retten. Der Rest lebt inmitten der Bombenangriffe. Wir werden versuchen, irgendwie mit ihnen in Kontakt zu treten und uns zu vergewissern, dass es ihnen gut geht. Wir sprechen nicht über die Tatsache, dass sie keine Nahrung, kein Wasser und keinen Strom haben, davon ist keine Rede: Wir wollen zumindest sicherstellen, dass sie am Leben sind“, so Nidal Mahdi.

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