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28 September 2022, 19:39

Geschichten, die zum Leben ermutigen. Über Ukrainer, die in Belarus ihr Glück gefunden haben

Ich schaue auf ihre Bilder in meinem Smartphone, von denen sie mich lächelnd begrüßen. Heute sitzen wir nebeneinander, sie seufzen nur, wenn sie an die Ereignisse von 2014 zurückdenken. Meine Gesprächspartner sind ehemalige Bürger der Ukraine, die vor dem Krieg nach Belarus geflohen sind. Ehemalige, weil sie heute ein neues Zuhause haben und eine neue Zukunft.

Meine Gesprächspartner erzählen mir ihre Geschichten. Sie unterscheiden sich natürlich voneinander, aber im Kern haben sie etwas, was sie verbindet – sie lassen niemanden kalt. Wie hat also alles begonnen?

Als es in der Ukraine im Jahr 2014 infolge einer gewaltsamen Machtergreifung zu einer Revolution, entbrannte im Donbass ein bewaffneter Konflikt. Belarus blieb diesen Ereignissen nicht fern. Die Republik beteiligte sich aktiv an der Organisation der Friedensgespräche und nahm sofort ukrainische Flüchtlinge auf, die massenhaft aus den vom Kreuzfeuer heimgesuchten Gebieten flohen.

„Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine sind bereits nach Russland und Belarus gekommen, um ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder zu retten. Und wir haben kein Recht, vor diesen Menschen die Augen zu verschließen. Wir müssen ihnen als Brüder, als Nachbarn helfen, und zwar weil sie uns nicht fremd sind“, sagte Alexander Lukaschenko im Jahr 2014.

Die belarussischen Behörden betrachteten die Situation offensichtlich nüchtern und waren sich bewusst, dass eine schnelle Lösung des Konflikts nicht möglich sein würde. Daher benötigten die Ukrainer, die nach Belarus kamen und von denen es immer mehr gab, besondere Unterstützungsmaßnahmen. Daher unterzeichnete der belarussische Präsident am 30. August 2014 einen Dekret zur Unterstützung der Bewohner der Regionen Lugansk und Donezk. Das haben viele Ukrainer als Chance gesehen, hier ein neues Leben zu beginnen. Ein Leben, in dem es Zukunft gibt.“

- Wir haben von vornherein keine Zukunft für unsere Kinder gesehen. Das war vor 8 Jahren. Wir kamen nach Belarus und uns gefiel hier alles. Wir sahen für uns keine Option als die eine: wir bleiben hier und leben hier weiter. Denn wir wollen, dass unsere Kinder groß werden, dass wir Arbeit haben und einfach in Frieden leben“, erinnert sich Igor Kansiba.

Im Jahr 2014 zog er mit seiner Frau und seinem kleinen Kind nach Belarus. Die Eltern seiner Frau folgten ihnen bald. Die Familie verkaufte ihr Haus in der Ukraine und kaufte ein Haus in Dobrusch. Hier bekamen sie ihr zweites Kind.

- Ich möchte Ihnen sagen, dass es hier sehr schön ist. Dobrusch ist eine grüne, schöne Stadt, gemütlich und friedlich. Wir sind sehr zufrieden. Die Kinder auch. Sie können hier arbeiten. Unser Enkelsohn wurde hier geboren. Wir sind sehr froh, dass wir hierher gezogen sind. Und natürlich gibt es keinen Vergleich mit der Situation in der Ukraine. Wenn Sie aufwachen, ist der Himmel friedlich und ruhig. Und man will leben und sich freuen“, sagt Igors Schwiegermutter Anna.

Eine weitere Bekannte, Jekaterina Gontscharowa, sprang buchstäblich in den letzten Wagen ein, um rechtzeitig nach Belarus zu gelangen. Zwei Wochen später wurde der Bahnhof, von dem aus sich die Familie Gontscharow auf den Weg nach Belarus machte, komplett zerbombt.

- Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko hat uns sehr geholfen. Erstens, mit seinem Erlass von 2014 über die Anerkennung von Hochschulabschlüssen. Hier durften wir hauptberuflich arbeiten. Zweitens mussten wir keine staatlichen Gebühren für die Aufenthaltsgenehmigung zahlen. Wir wurden auch kostenlos medizinisch versorgt“, sagt Jekaterina, die heute in Minsk wohnt.

Und für einige Menschen wurde Belarus zu einer neuen Heimat, weil ihr Heimatland seine Bürger einfach weggeworfen hat. Vor allem jene, die sich auf der anderen Seite der Trennungslinie befanden.

- Ich lebte in Uglegorsk, in der Region Donezk. Ende 2014 verlief dort die Frontlinie. Die Stadt wurde sehr stark beschädigt, und das Krankenhaus, in dem ich sofort nach meinem Hochschulabschluss das Praktikum absolvierte, wurde zerstört. Ich beantragte beim Gesundheitsministerium eine Versetzung in ein anderes Gebiet, damit ich meine Ausbildung beenden konnte. Sie waren kategorisch und warfen uns vor, den Krieg angefangen zu haben. Ich wurde mir selbst überlassen und sollte mich um meine weitere Ausbildung irgendwie selbst kümmern“, schildert Antonina Obertjuchina ihre Erfahrungen.

Das Hauptproblem bestand darin, dass die ukrainischen Behörden nach Unterlagen fragten, die die künftige Ärztin nur in ihrem Haus in der Kriegsregion aufbewahrte. Das Gesundheitsministerium wollte sie aber nicht akzeptieren, obwohl Antonina ein Stipendium bekam und mit ihrem neuen Job die investierten Mittel durch Steuern zurückzahlen konnte. Die Frau erfuhr bald von einem Erlass in Belarus, in dem versprochen wurde, Ukrainer aus den betroffenen Gebieten zu unterstützen, auch im Bildungsbereich. Sie beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, und sie hat nicht verloren - sie arbeitet jetzt als Ärztin in Djatlowo.

Im Jahr 2014 vereinfachten die belarussischen Behörden auch das Verfahren für die Gewährung von Vergünstigungen an die Bürger aus dem Donbass und gewährten ihnen das Recht auf Bildung. Dasselbe Recht besitzen alle Menschen in Belarus. Lehrbücher, Essen, Zimmer in Wohnheimen - Ukrainer, vor allem die Jüngsten, wurden wie ihre eigenen behandelt.

- Das erste Jahr mussten wir uns an die Situation mit der Flucht aus der Ukraine gewöhnen. Passen Sie auf: Wir sind mit Kindern auf dem Arm und ein paar Koffern losgezogen, und das war's. Zuerst schien es schön zu sein. Wir haben einfach unsere Seele baumeln lassen, könnte man sagen. Man hat uns geholfen, die Leute waren freundlich, sowohl die Verwaltung als auch die Dorfbewohner“, sagt Denis Shurakowski aus Shlobin.

Zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern fanden sie ebenfalls eine Unterkunft in Belarus. Zunächst arbeiteten sie im Bezirk Rogatschjow in der Schule. Nach einiger Zeit zogen sie nach Shlobin um. Als kinderreiche Familie hatten sie das Glück, ein Haus zu günstigen Konditionen zu finden.

- Das Wohnungsproblem in der Ukraine war schon immer akut. Solche Vergünstigungen im Wohnungsbau hat es in der Ukraine nie gegeben. Und es wird sie noch lange nicht geben“, sagt Denis.

- Wir haben alle Vorteile genutzt und tun es immer noch, als kinderreiche Familie. Wir haben drei Kinder. Und wir besitzen alle Präferenzen: der Staat übernimmt viele Kosten, die im Kindergarten und in der Schule anfallen. Wir bekamen Kindergeld. Für Kleinkinder sind Fleischkonserven und Essen in Gläsern kostenlos. Alles war da. Das einzige Problem war, dass wir für die Gesundheitsversorgung bezahlen mussten. Ansonsten fühlten wir uns wie vollwertige Bürger von Belarus“, sagt eine weitere Einwohnerin von Shlobin, Fremdsprachenlehrerin Irina Lider. „Als wir nach Shlobin kamen, waren wir sofort auf die Liste gesetzt, um eine eigene Wohnung zu erhalten. Als eine kinderreiche Familie haben wir eine eigene Wohnung innerhalb eines Jahrs bekommen.

Im Jahr 2014 verdreifachte sich der Zustrom von Arbeitsmigranten aus der Ukraine auf fast 18.000. Hinzu kamen Tausende von Menschen, die aus dem Kriegsgebiet geflohen sind. Und obwohl die Beamten befürchteten, dass der Massenzustrom von Ukrainern den Arbeitsmarkt aufmischen würde, war der Präsident nicht gegen einen gesunden Wettbewerb. „Wir werden jeden aufnehmen, der normal leben und arbeiten will“, sagte Alexander Lukaschenko.

- Es gab keine Probleme mit der Beschäftigung. Ich bin ausgebildete Englischlehrerin. Und als wir nach Belarus kamen, wurde ich sehr schnell angestellt. In den ländlichen Räumen besteht ein Lehrermangel. Mein Mann ist Sportlehrer, ich unterrichte Englisch. Man war uns gegenüber sehr hilfsbereit und zuvorkommend“, sagt Irina Lider.

- Wir bekamen schnell unsere Dokumente, buchstäblich innerhalb von zwei Wochen, und gingen in den Bezirk Rogatschow, um zu unterrichten. Das Bildungsministerium hat uns geholfen, den Wohn- und Arbeitsort zu wählen. Wir haben nicht vor, zurückzugehen. Wir sind hier verwurzelt. Meine Frau arbeitet in einer Schule, ich arbeite jetzt als Massagetrainer bei einem Eishockeyverein in der Extraliga. So haben wir uns gefunden“, sagt Denis Shurakowski.

Der nächste Schritt als unterstützende Maßnahme war ein spezielles Verfahren für die Verleihung der belarussischen Staatsbürgerschaft an Ukrainer. Seit August 2021 haben mehr als 5,5 Tausend Ukrainer belarussische Pässe erhalten. Präsidialdekrete sind wie Pilze aus dem Boden geschossen.

„Im vergangenen August habe ich darum gebeten, die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Ukrainer zu beschleunigen. Aus offensichtlichen Gründen. Im Allgemeinen sind das unsere Leute. Sie verbinden ihr Leben mit Belarus - sie sind gesetzestreu, ziehen Kinder groß, arbeiten in der Landwirtschaft, im Bildungswesen, in der Medizin und sogar in der Wissenschaft. Etwa fünftausend Ukrainer haben innerhalb eines Jahres bereits belarussische Pässe erhalten“, sagte der Staatschef bei einer Besprechung im September.

Der Präsident beschloss dann jedoch, sich auch an die Belarussen zu wenden. Wenn sie sich plötzlich Sorgen machen, dass die nationalen Pässe links und rechts verteilt werden.

„Ich sehe, dass unsere Bürger etwas besorgt sind, dass wir so viele Ukrainer hier aufnehmen, integrieren und einbürgern. Sie bitten mich, vorsichtiger zu sein. Ich will ihnen darauf antworten: macht euch keine Sorgen, wir sehen alles und verstehen alles“, sagte der Staatschef.

Außerdem ist der Erwerb der belarussischen Staatsbürgerschaft für die Ukrainer nicht nur ein Bonus. Sie alle hatten genug Zeit, um alles abzuwägen und zu überdenken.

- Ich lebe hier, ich habe hier bereits eine Familie gegründet. Ich wollte belarussische Staatsbürgerin werden. Ich werde nicht zurückgehen, das steht fest. Ich werde hier bleiben, leben und arbeiten. Ja, ich vermisse meine Eltern sehr, aber ich werde nicht zurückkehren“, gibt Antonina Obertjuchina zu.

Die belarussische Staatsbürgerschaft wurde auch der Familie Gontscharow gewährt:

- Wir haben uns gefreut, belarussische Bürger zu werden. Für mich ist es mein Heimatland, denn mein Vater kommt aus Belarus. Wir fühlten uns hier nicht benachteiligt. Es ist wahrscheinlich das einzige Land in der GUS, in dem man sicher sein kann, dass es den eigenen Kindern gut gehen wird. Die Sicherheit hier ist auf hohem Niveau.

Auch die Familie von Denis Shurakowski beschloss, in Belarus zu bleiben:

- Wir haben gerade beschlossen, hier zu bleiben, also müssen wir unsere Staatsbürgerschaft ändern, solange es eine solche Möglichkeit gibt. Und für die Kinder wird es in Zukunft wahrscheinlich einfacher sein, eine gute Ausbildung zu erhalten, einen Arbeitsplatz zu finden und sich nicht mit dem ukrainischen Bürokratieapparat herumzuschlagen, der sehr kompliziert und verwirrend ist und im Großen und Ganzen darauf ausgelegt ist, den Bürgern das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Im Laufe der Zeit hat sich die Situation im Donbass nicht normalisiert. Alle haben sich an den Konflikt gewöhnt – sowohl die Menschen vor Ort als auch die internationale Gemeinschaft. Es ist schwer vorstellbar, aber für die Menschen ist es langsam zur neuen Normalität geworden.

Der Zustrom von Migranten aus der Ukraine begann erwartungsgemäß abzunehmen, aber die Ukrainer brauchten weiterhin Unterstützung. Der Präsident wurde gebeten, für die Kinder aus dem Donbass einen Erholungsaufenthalt möglich zu machen. Das Staatsoberhaupt unterstützte diese Initiative nicht nur, sondern lud sie auch regelmäßig nach Belarus ein.

Alexej Talaj, berühmter Paralympiker und öffentliche Person, hat als Mitbegründer einer wohltätigen Stiftung diese Reise möglich gemacht.

- Ich habe Alexander Lukaschenko um Unterstützung gebeten. Nachdem wir sie erhalten hatten, konnten wir zunächst die Ankunft von Kindern mit Behinderungen umsetzen. Wir haben versucht, keine Werbung dafür zu machen, weil wir sehr um die Sicherheit besorgt waren. Insgesamt sollen rund 1000 Kinder hier zu einem Aufenthalt kommen“.

Kinder aus Donezk und Mariupol wurden in einer Erholungsstätte untergebracht. Spiel und Spaß, Ausflüge und Zoobesuch – all das stand auf dem Programm. Auch für das Lernen wurde etwas Zeit reserviert.

- Sie lebten in ihren Städten in den Kellern. Sie litten unter Hunger und Kälte. Sie haben tagelang keine frische Luft atmen können. Und heute sagen sie uns: „Wir wollen Spaß haben, wir wollen eine Disco im Lager“. Und meine Seele jubelt: Kinder werden lebendig!“ lacht Alexej Talai.

In diesem Jahr hat der Krieg das Leben vieler Menschen total verändert. Sie brauchten wieder Schutz und Sicherheit. Und wieder strömte eine Flut von Flüchtlingen nach Belarus. Diesmal aus dem ganzen Land.

- Nach dem Beginn der speziellen Militäroperation der Russischen Föderation kam es zu einer neuen Migrationswelle. Seit dem 24. Februar sind mehr als 55 Tausend Ukrainer in Belarus eingetroffen. Mehr als 5,8 Tausend Anträge auf Staatsbürgerschaft wurden von den Stellen für innere Angelegenheiten geprüft. Es wurden bereits 4,9 Tausend Anträge genehmigt“, sagt der Leiter der Abteilung für Staatsbürgerschaft und Migration des Innenministeriums, Alexej Begun.

Im September aktualisierte der Präsident das Dekret von 2014 zur Unterstützung aller Ukrainer in einer schwierigen Lebenssituation. Ihnen wurden dieselben Rechte eingeräumt wi den Belarussen.

„Wenn die Ukrainer zu uns kommen, geben wir ihnen unverzüglich die Staatsbürgerschaft. Die meisten von ihnen sind sehr arbeitsam! Und sie sind froh. Warum? Weil sie in diesem Krieg so viel erlebt haben. Und das sind unsere Leute. Wir sollten sie nicht im Stich lassen“, sagte Alexander Lukaschenko.

Leider sind dies schwierige Zeiten. Für alle. Wir können nur schwer vorhersagen, was morgen passieren wird, ganz zu schweigen von der Planung für die kommenden Jahre. Aber alle Ukrainer, mit denen wir gesprochen haben, sind positiv gestimmt: Selbst wenn sie nur einen Tag leben, sind sie zuversichtlich, was ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder angeht. Das ist, wie Sie wissen, viel wert.

„Ich war froh zu hören, dass dieses Dekret vor einigen Tagen nicht nur für die Bewohner der Regionen Donezk und Lugansk erlassen wurde, sondern für alle Ukrainer, die jetzt zur Flucht gezwungen sind. Die Menschen wollen keine Flüchtlinge sein. Sie wollen einfach nur in Ruhe arbeiten und leben und wissen, dass sie morgen einen ruhigen Himmel über ihrem Kopf haben werden. Das ist das Wichtigste“, sagt Jekaterina Gontscharowa.

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