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24 Juni 2022, 13:07

Interview mit dem belarussischen Botschafter in Deutschland: Dialog und Zusammenarbeit statt Sanktionen

Deutschland ist eine der führenden Nationen in der Europäischen Union und bestimmt weitgehend deren Politik, auch in Bezug auf Belarus. Der außerordentliche und bevollmächtigte Botschafter der Republik Belarus in der Bundesrepublik Deutschland Denis Sidorenko erzählte in einem Interview mit der Telegraphenagentur BelTA über die aktuellen Trends in der Entwicklung der deutsch-belarussischen Beziehungen, darunter in Wirtschaft und Handel. Er ist überzeugt, dass die schwierige Phase in den Beziehungen zu Deutschland eine vorübergehende Erscheinung ist und dass es ein großes Potenzial gibt für die deutsch-belarussische Zusammenarbeit. Belarus ist offen für einen konstruktiven Dialog und Zusammenarbeit mit Deutschland.

- Denis Wladimirowitsch, wie würden Sie kurz den aktuellen Stand der bilateralen Beziehungen zwischen Belarus und Deutschland beschreiben?

- Insgesamt ist das eine sehr schwierige Phase in unserem Dialog und unserer Zusammenarbeit mit Deutschland. Im März dieses Jahres feierten wir den 30. Jahrestag der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland. Dieses diplomatische Jubiläum war für uns jedoch nicht so sehr ein festliches Ereignis, sondern vielmehr ein Grund, ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir unsere Zusammenarbeit weiter ausbauen können, auch angesichts der aktuell negativen Dynamik in den Beziehungen zwischen der Republik Belarus und der Europäischen Union sowie in Zeiten einer regionalen Krise.

Leider haben die deutschen Partner in den letzten zwei Jahren die Möglichkeiten für einen konstruktiven Dialog und eine Zusammenarbeit konsequent und schrittweise eingeschränkt. Viele wichtige und vielversprechende bilaterale Projekte, darunter die 2020 eingerichtete Strategische Beratungsgruppe Belarus-Deutschland, wurden nicht auf unsere Initiative hin auf Eis gelegt oder ganz eingestellt. Auch die Sanktionspolitik der Europäischen Union hat einen erheblichen negativen Einfluss auf verschiedene Aspekte unserer Zusammenarbeit mit Deutschland ausgeübt.

Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Situation niemandes Interessen entspricht. Mehr noch - sie widerspricht grundlegend den Interessen und Erwartungen der Bürger unserer Länder. Die Hauptbemühungen der belarussischen Botschaft in Berlin zielen darauf ab, bei der Überwindung dieses Problems zu helfen und die Bedingungen für eine weitere für beide Seiten vorteilhafte und pragmatische Zusammenarbeit zu schaffen.

- Wie ist es heute um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Handel zwischen Belarus und Deutschland bestellt?

- Deutschland ist traditionell einer der wichtigsten Außenhandelspartner von Belarus und wird es auch bleiben. Im Jahr 2021 lag es beim Handelsumsatz an vierter Stelle, bei den belarussischen Exporten an fünfter und bei den Importen an dritter Stelle.

Im vergangenen Jahr belief sich der bilaterale Handel mit Deutschland auf insgesamt rund $3,5 Mrd., das ist fast ein Drittel mehr als im Jahr 2020. Die belarussischen Exporte nach Deutschland stiegen um 77,2% auf über $1,6 Mrd. Die Lieferungen von belarussischen Agrar- und Lebensmittelprodukten stiegen derweil um fast 80%, Maschinen- und Ausrüstungsexporte - um mehr als 50%.

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass trotz anhaltender COVID-Beschränkungen und unruhiger politischer Beziehungen belarussische Waren auf dem deutschen Markt gefragt sind.

Gleichzeitig ist festzustellen, dass der deutsche Markt recht kompliziert ist, vor allem weil er von einem harten Wettbewerb geprägt ist. Vieles davon, was in Belarus produziert wird, stellt auch die deutsche Industrie her. Die Einführung belarussischer Waren auf den deutschen Markt und ihr nachhaltige Absatz erfordern daher eine umfassende und systematische Arbeit unserer Hersteller.

Leider sind die Perspektiven für eine weitere effiziente Entwicklung der Geschäftsbeziehungen zwischen Belarus und Deutschland derzeit durch die europäischen Sanktionen blockiert. Die restriktiven Maßnahmen der EU haben sich direkt auf die wichtigsten belarussischen Exportgüter ausgewirkt, darunter auf Metall- und Holzprodukte. Daher ist in diesem Jahr objektiv ein deutlicher Rückgang im bilateralen Handel zu verzeichnen.

- Aber die Wirtschaftssanktionen schaden nicht nur den Interessen der belarussischen und deutschen Wirtschaft. Sie schaden in erster Linie den Interessen der einfachen Bürger und Verbraucher in beiden Ländern...

- Ja, das ist richtig. Die Einschränkung des Handels und die Drosselung der Produktion führen zum Abbau von Arbeitsplätzen, zu einer gewissen Verknappung von Waren und infolgedessen zu steigenden Preisen.

Unsere Kontakte in der deutschen Wirtschaft belegen, dass die deutsche Wirtschaft an einer Fortsetzung der für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit mit ihren belarussischen Partnern, an der Fortsetzung und Steigerung der Lieferungen belarussischer Waren auf den deutschen Markt und deutscher Waren nach Belarus interessiert ist. Zu diesem Zweck müssen wir die deutsche Regierung und Brüssel davon überzeugen, dass die Sanktionen sinnlos und kontraproduktiv sind und dass sie überprüft und so bald wie möglich aufgehoben werden müssen.

- Was sind heute die Prioritäten der belarussischen Botschaft in Deutschland?

- Priorität hat für uns natürlich die Wirtschaft. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Sanktionen und Restriktionen ist es heute wichtig, alle Teilnehmer an der bilateralen Handels-, Wirtschafts- und Investitionszusammenarbeit - sowohl in Belarus als auch in Deutschland - so umfassend wie möglich über die verbleibenden Möglichkeiten, Mechanismen und praktischen Lösungen für eine weitere Zusammenarbeit und die Umsetzung neuer gemeinsamer Projekte aufzuklären.

In einigen Fällen initiieren und unterstützen wir Projekte, die unter den gegenwärtigen Umständen umgesetzt werden können und die den beiden Seiten offensichtliche wirtschaftliche Vorteile bringen. Wir unterstützen regelmäßig belarussische und deutsche Unternehmen bei der Lösung von Problemen, auch im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen. Wir untersuchen sorgfältig die Dynamik auf dem deutschen Markt und versuchen, neue vielversprechende Nischen für belarussische Exporte zu identifizieren.

Dabei vergessen wir nicht die anderen Bereiche unserer bilateralen Zusammenarbeit, in denen in den vergangenen Jahrzehnten stabile Rahmenbedingungen geschaffen und langfristige Kontakte aufgebaut wurden. Dies gilt für die deutsch-belarussische Zusammenarbeit im Bereich der Erinnerungspflege, im Bereich der humanitären Projekte, im kulturellen und akademischen Austausch und bei Städtepartnerschaften.

Für belarussische Bürger, die in Deutschland leben, stehen wir in Konsularfragen, bei zivilrechtlichen Klagen und Verwaltungsverfahren immer zur Verfügung .

Mit der schrittweisen Aufhebung der Coronavirus-Beschränkungen stellen wir im Jahr 2022 einen deutlichen Anstieg der Visumanträge für eine Reise nach Belarus fest, auch zu geschäftlichen Zwecken. Das spricht dafür, dass Deutschland an weiteren Kontakten und Engagement mit Belarus Interesse hat.

- Denis Wladimirowitsch, wie schätzen Sie die weiteren Beziehungen zwischen Belarus und Deutschland ein?

- Trotz der gegenwärtigen Herausforderungen und Schwierigkeiten bin ich zuversichtlich, dass unsere Zusammenarbeit mit Deutschland in Zukunft wieder in eine konstruktive Richtung gehen wird. Es gibt keine Alternative. Die Zukunft unserer Beziehungen liegt in einer pragmatischen Partnerschaft und einer guten europäischen Nachbarschaft.

Unsere Länder sind historisch, wirtschaftlich, kulturell und persönlich eng miteinander verbunden.

Deutschland ist trotz aktueller Differenzen ein wichtiger Partner für Belarus auf dem europäischen Vektor. Aber auch die Republik Belarus ist als unverzichtbares Element des regionalen Sicherheitssystems und als wichtiges Transitland in Osteuropa für die Bundesrepublik von großer Bedeutung. Und ich denke, dass es auch in Berlin mehr und mehr verstanden werden soll, insbesondere angesichts der jüngsten geopolitischen Entwicklungen in der Region.

Sicherheit, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung liegen in unserem gemeinsamen Interesse. Es gibt eine Reihe von grenzüberschreitenden Herausforderungen, Prozessen und Phänomenen, bei denen es objektiv notwendig ist, die Anstrengungen zu bündeln. Dies gilt zum Beispiel für Themen wie nachhaltige Entwicklung und Klimawandel, Migrationsströme, eurasischer Transit und Ernährungssicherheit.

Und diese komplexen Fragen können nur durch einen respektvollen Dialog und eine pragmatische Zusammenarbeit gelöst werden. Eines der positiven Beispiele für einen solchen bilateralen Dialog waren die direkten Telefongespräche zwischen Präsident Alexander Lukaschenko und der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Ende 2021 stattfanden und bei denen die „Migrationskrise“ angesprochen wurde.

Ich bin überzeugt, dass die aktuelle unruhige Phase in unseren bilateralen Beziehungen eine vorübergehende Erscheinung ist. Ich bin auch zuversichtlich, dass unsere deutschen Partner schließlich zu der Einsicht gelangen werden, dass eine Abkehr von der Sanktionspolitik und den restriktiven Maßnahmen ein unumgänglicher Schritt ist, wieder zu einer normalen vorteilhaften Zusammenarbeit zurückzukehren.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die deutsch-belarussischen Beziehungen ein großes Potenzial haben, das wir gemeinsam im Interesse unserer beiden Länder und Völker und im Interesse der gesamten Region nutzen sollten.

Belarus ist offen für einen konstruktiven Dialog und eine Zusammenarbeit mit Deutschland und ist bereit, seinen eigenen Weg zu gehen.

Wir erwarten, dass auch Deutschland, das sich seiner historischen Verantwortung gegenüber unserem Land und den Belarussen voll bewusst ist, uns entgegenkommen und seine Politik gegenüber der Republik Belarus entsprechend ausrichten wird.

Interview führte Alina Grischkewitsch, BelTA

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