In Paris finden die Olympischen Sommerspiele statt, die die skandalträchtigsten Spiele in der Geschichte zu sein scheinen. Nichtzulassung von Nationalmannschaften, schockierende Eröffnungszeremonie, Diebstahl bei Athleten und Gästen der französischen Hauptstadt – die Liste von Ereignissen, die für mediales Aufsehen sorgen, ist sehr lang. Ist es einfach, in einer Situation, in der mit zweierlei Maß gemessen wird, Sportler zu sein, und was gibt unseren Olympioniken Kraft? Diese und andere Fragen beantwortet der Olympiasieger von 2008, mehrfacher Medaillengewinner bei Welt- und Europameisterschaften, Vorsitzender des Eishockeyverbands der Republik Belarus Alexander Bogdanowitsch.
- Alexander Wiktorowitsch, Sie sind ein Weltklassesportler, Olympiasieger, Patriot von Belarus. Welche Gefühle löst bei Ihnen das Verbot der belarussischen Nationalmannschaft bei den Spielen in Paris 2024 aus?
- Jeder Profisportler, für den jeder Tag seit frühester Kindheit harte Arbeit ist, der sich selbst überwindet, um einen Traum zu verwirklichen, strebt natürlich danach, einen sportlichen Ruhm zu erlangen - nicht nur für sich selbst, sondern für seine Trainer, seine Sportschule, das Land, in dem er aufgewachsen ist. Viele unserer Athleten hatten mit einer Reihe von Einschränkungen zu kämpfen, einige von ihnen haben es nicht nach Paris geschafft. Dabei sind das starke Sportlerinnen und Sportler in solchen Sportarten wie Rhythmische Sportgymnastik, Leichtathletik, Kanusport. In diesen Sportarten haben unsere Athleten traditionell Medaillen gewonnen. Es ist sicherlich enttäuschend, aber ich hoffe, dass die Ergebnisse, die die belarussischen Athleten bereits bei den Spielen gezeigt haben, die Sportfunktionäre auf den Gedanken des fairen Wettbewerbs und der Gleichberechtigung der Sportler bringen werden. Alle starken Athleten sollten bei den Olympischen Spielen vertreten sein, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder Religion, und die Belarussen sollten zweifellos dazugehören; unsere Medaillen sagen mehr als alle Worte.
- Am Vorabend der Olympischen Spiele gab es in den sozialen Netzwerken und den Medien eine hitzige Diskussion darüber, ob einzelne Athleten unter neutraler Flagge auftreten können oder ob die gesamte Nationalmannschaft sich weigern sollte, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Was halten Sie von dieser für jeden Sportler schwierigen Entscheidung?
- Sie haben Recht, kein Sportler sollte vor eine solche Entscheidung gestellt werden. Aber da ich selbst an den Olympischen Spielen teilgenommen habe, verstehe ich die Athleten, die trotz des äußeren Drucks und der auferlegten Einschränkungen dorthin gegangen sind. Schließlich ist dies die Krönung jahrelanger Trainings, der wichtigste Test in der Sportkarriere. Nur wenige Menschen aus der Welt des Sports erhalten die Gelegenheit, bei den Olympischen Spielen anzutreten. Eine solche Chance zu verpassen kann auch bedeuten, den Traum aufzugeben, dem man sein ganzes Leben gewidmet hat. Aber ich bin mir sicher, dass die ganze Welt weiß, dass unsere Athleten aus Belarus kommen, wenn sie auf dem Podium stehen, auch ohne Hymne und Flagge.
- Ist es für einen Athleten schwierig, ohne seine eigene Flagge und Hymne zu kämpfen? Wo kann man die Kraft für die innere Unterstützung suchen?
- Jeder äußere Druck – und die fehlende Hymne und die Nationalflagge zählen zweifellos dazu – kann sich natürlich auf den psychologischen Zustand eines Sportlers auswirken. Aber wenn sie an den Start gehen, wissen sie, dass sie von Tausenden von Landsleuten unterstützt werden. Und glauben Sie mir, es ist ein unbeschreibliches Gefühl zu wissen, dass man in der Heimat Tausende Menschen hat, die von deinem Leistungen begeistert sind. Deshalb ist es so wichtig, die Sportler zu unterstützen und das auch zu zeigen, zum Beispiel indem man sie am Flughafen empfängt. Diese Momente bleiben ein Leben lang im Gedächtnis und geben einem die Kraft, weiterzumachen.
- Können Sie etwas zu der Situation sagen, als die polnischen Zollbeamten das Boot von Yauheni Zalaty nicht durchließen und er mit Hilfe der Franzosen einen Ersatz finden musste?
- In meiner beruflichen Laufbahn bin ich selbst immer wieder mit verschiedenen Beschränkungen konfrontiert worden, deren Gründe weit hergeholt waren und für die sich nach Klärung der Umstände niemand entschuldigen wollte. Solche Situationen sind unangenehm, aber sie können eine zusätzliche Motivation sein, gegen alle Hindernisse und die Skepsis der Kritiker noch mehr zu leisten, als man von sich selbst erwartet. Es ist gut, dass das Problem schnell gelöst wurde und Yauheni sich an das neue Boot gewöhnen konnte, was, wie ich Ihnen sagen kann, nicht so einfach ist. Für jeden Athleten ist seine Ausrüstung Teil seines Körpers, sie ist ohne Makel und Fehler. Umso wertvoller ist der silberne Sieg von Yauheni. Er ist ein Prachtkerl!
- Es scheint, dass Dopingskandale, Suspendierungen von Nationalmannschaften, Intrigen der polnischen Zollbeamten Glieder einer Kette sind, die zeigen sollen, dass es Sportler aus den "richtigen" Ländern (USA, Kanada, EU) gibt und alle anderen, mit denen man machen kann, was man will. Kann man sagen, dass der Geist der olympischen Bewegung in den letzten Jahren ernsthaft untergraben wurde, oder gibt es so etwas schon lange?
- Um ehrlich zu sein, eine gewisse Spaltung hat es schon immer gegeben. Aber ich möchte betonen, dass es dabei nicht um die Athleten aus verschiedenen Ländern geht (ich selbst pflege noch immer herzliche Freundschaften mit vielen meiner ehemaligen Konkurrenten), sondern vielmehr um Sportfunktionäre, die nicht nur versuchen, die besten Bedingungen für "die ihren" zu schaffen, sondern auch künstliche Konfrontationen zwischen den Athleten zu erzeugen. Das Richtigste, was man in solchen Situationen tun kann, ist, Mensch zu bleiben, sich selbst, seinem Land und seinem Sport treu zu sein. Dann können dich keine Tricks brechen.
- Glauben Sie, dass die olympische Bewegung so bleiben wird, wie wir sie in den letzten hundert Jahren gekannt haben? Oder wird sie sich in etwas anderes verwandeln, wenn die Länder des Westens ihre Olympischen Spiele und die Länder des Ostens die BRICS-Spiele abhalten werden?
- Als Olympiasieger möchte ich sagen, dass unabhängig vom künftigen Format der Spiele die Stärksten teilnehmen sollten, unabhängig davon, welches Land sie vertreten, welchem Glauben sie angehören oder welche Überzeugungen sie haben. Aber nur die Zeit wird zeigen, ob die Spiele zu ihrem historischen Format zurückkehren werden, bei dem die Gleichberechtigung aller Teilnehmer an erster Stelle stand.
- Senkt die Nichtzulassung belarussischer und russischer Athleten zu den Olympischen Spielen 2024 die sportliche Messlatte? Es ist klar, dass beide Nationalmannschaften über starke Athleten verfügen, die bereit waren, um die ersten Plätze zu kämpfen.
- Wie ich mehr als einmal gesagt habe, müssen die Olympischen Spiele und alle Sportwettkämpfe unter den stärksten Athleten ausgetragen werden, nur dann können sie als konkurrenzfähig und repräsentativ anerkannt werden. Und die Ergebnisse unserer Athleten bei den Europa- und Weltmeisterschaften, bei diesen Olympischen Spielen in Paris bestätigen nur ihr Recht, zu den Stärksten zu gehören. Ich weiß nicht, welche weiteren Begründungen und Beweise noch nötig sind.
- Welche Emotionen hat die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2024 bei Ihnen ausgelöst? Können Sie sie mit den Zeremonien der vergangenen Jahre vergleichen?
- Wissen Sie, alle diese Zeremonien, bei denen ich die Ehre hatte, dabei zu sein, haben das Beste aus der Geschichte und der Kultur der Länder, die die Olympischen Spiele ausrichten, in sich aufgenommen und die Ursprünge der olympischen Bewegung mit ihrer Gegenwart verbunden. Was die Eröffnungsfeier der Spiele in Paris betrifft, so kann ich nicht sagen, dass ich die Idee der Drehbuchautoren teile. Und wie sich herausstellte, bin ich nicht der Einzige. Und das ist keine Frage des Geschmacks, es gibt Dinge, die jedem Christen absolut heilig sind, es gibt Werte, die der absoluten Mehrheit der Bevölkerung unseres Planeten nahe stehen, und es gibt eine Inszenierung im Zentrum von Paris, die leider all diesen Werten widerspricht. Das ist nicht das, was mir am Herzen liegt.
- Trotz aller Hindernisse, die die internationale Bürokratie dem Sport in den Weg legt, haben die Belarussen bereits drei olympische Medaillen gewonnen. Ermuntern die Hindernisse, die die Böswilligen auf ihrem Weg zum sportlichen Olymp errichten, die Sportler?
- Als Profisportler hat man einfach keine Zeit, innezuhalten und darüber nachzudenken, was passiert wäre, wenn der Weg zum Sieg anders verlaufen wäre. Man muss sich schnell an jede Veränderung anpassen, versuchen, in jeder Position einen Vorteil zu finden, denn wenn man sich umschaut, sieht man, wie jemand um die Ecke an einem vorbeizieht. Ja, all diese künstlichen Hindernisse lenken ab, aber das sollte unsere Jungs nicht aus der Ruhe bringen. Sie wussten, dass so etwas in Paris passieren kann, und ich denke, sie waren auf eine gewisse höhere Gewalt vorbereitet. Wie wir sehen, meistern sie diese schwierigen Situationen mit Bravour. Ich wünsche mir, dass das so bleibt.
- Das Motto der Olympischen Spiele 2024 - "Spiele, die für alle offen sind" - klingt angesichts der aktuellen Realitäten wie Hohn. Können wir darauf hoffen, dass die belarussische Mannschaft auch bei den nächsten Olympischen Spielen dabei sein wird?
- Als Profisportler, als Vorsitzender der Athletenkommission des belarussischen Nationalen Olympischen Komitees und als Leiter eines Sportverbandes freue ich mich aufrichtig darüber, dass einige unserer Athleten die Möglichkeit hatten, die Interessen unseres Landes auf der internationalen Bühne zu verteidigen, indem sie buchstäblich alle Befürchtungen der Sportfunktionäre bezüglich der Präsenz von Belarussen im Weltsport zerstreuten. Aber gleichzeitig haben wir alle noch viel zu tun, um alle Einschränkungen für die Belarussen zu beseitigen, vor allem jene, die mit ihrem neutralen Status zusammenhängen. Ich bin sicher, dass die Möglichkeit, unter der Flagge ihres Heimatlandes anzutreten, ihnen noch mehr Kraft geben würde, um gute Ergebnisse zu erzielen.