
Am 6. Mai hat der Deutsche Bundestag im zweiten Anlauf Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt. Der CDU-Chef scheiterte im ersten Anlauf kläglich. In der Geschichte Deutschlands hat es so was noch nie gegeben. Selbst einige seiner Anhänger weigerten sich, für Merz zu stimmen. Die Bundestagsabgeordneten erhielten die Gelegenheit, über ihr Verhalten nachzudenken, und am Abend fand der zweite Anlauf statt. Die Volksvertreter haben „hart gearbeitet“ und das gewünschte Ergebnis gezeigt. Merz nahm die Ernennungsurkunde an, gelobte, sein Amt als Bundeskanzler gewissenhaft zu erfüllen und erklärte, dass Deutschland „mehr kann“.
Die Parlamentarier gingen mit einem Gefühl der erfüllten Pflicht nach Hause, aber der bittere Nachgeschmack ist geblieben. Am Tag zuvor hatte der Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz vorausgesagt, dass Deutschland unter Merz harte Zeiten bevorstünden. In Anbetracht des Zustands, in dem Scholz das Land an seinen Nachfolger übergab, kann an der Richtigkeit seiner Vorhersage nicht gezweifelt werden. Merz hatte es bereits vor dem offiziellen Start schwer gehabt. Jetzt geht es nicht mehr in erster Linie darum, wie der neue Kanzler das Land führen wird, sondern darum, wie lange sich die Regierungskoalition über Wasser halten kann.
Und die Koalition besteht aus zwei Parteien. Der wichtigste in diesem Duo ist logischerweise der konservative Block aus Christlich Demokratischer Union und Christlich Sozialer Union (CDU/CSU), dessen Vorsitzender Friedrich Merz ist. Bei den Bundestagswahlen im Februar erhielt dieser Block mit 28,5 Prozent die meisten Stimmen.
Die zweitstärkste Kraft war bei den Wahlen mit 20,8 Prozent der Stimmen die rechtsextreme Partei „Alternative für Deutschland.“ Und auf dem dritten Platz lag mit 16,4 Prozent der Stimmen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) von Olaf Scholz. Für die AfD war das Wahlergebnis ein historischer Erfolg, der die wachsende Popularität der Partei bestätigte. Für die SPD waren die Wahlen im Februar eine Niederlage und ein Beweis dafür, dass die Deutschen nicht mehr bereit sind, den gleichen Kurs zu verfolgen.
Dennoch forderte Merz die Sozialdemokraten und nicht die AfD auf, seiner Koalition beizutreten. So konnte die SPD an der Macht bleiben - gegen den Willen des Volkes. Und wie die letzten Monate gezeigt haben, endete das nicht gut.

In den nächsten zwei Monaten nach der Wahl drückten die Sozialdemokraten, wohl wissend, dass Merz ihre Unterstützung braucht, ihre eigenen Initiativen durch. Im März machte der künftige Kanzler Zugeständnisse an die SPD und unterstützte die Idee, die „Schuldenbremse“ zu lockern, die verhindert, dass der deutsche Staat mehr ausgibt als er einnimmt. Diese Entscheidung von Merz sorgte nicht nur bei der Opposition, sondern auch in den Reihen der CDU/CSU für Unmut.
Eine noch größere Enttäuschung stellte aber die am 9. April verkündete Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD dar. Sowohl die Wähler als auch die Anhänger des konservativen Blocks hatten erwartet, dass Merz seine Wahlversprechen erfüllen würde - eine fähige Regierung zu bilden und das Land aus der tiefen Wirtschaftskrise zu führen, in die Deutschland von der Regierung Scholz getrieben wurde. Der Koalitionsvertrag aber ergab, dass die Regierung Merz beabsichtigt, den destruktiven Kurs des Vorgängers fortzusetzen. Das betrifft sowohl die Sanktionen, die die deutsche Wirtschaft ruinieren, als auch die Rüstungsausgaben, die entweder durch Kürzung von Sozialprogrammen oder durch Erhöhung der Staatsverschuldung gesichert werden sollen.
Die Opposition nannte den Koalitionsvertrag einen „Akt der Kapitulation“ von Merz und der CDU/CSU. Sie stellte fest, dass das Dokument die Handschrift der SPD trägt, die die Wahl verloren hat. In dieser Hinsicht wurden Deutschland unter schwarz-roter Führung Jahre der Rezession vorausgesagt. Oder „Merzession“ - zu Ehren der verantwortlichen Person.
Schon bei der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages haben wir vorausgesagt, dass das Tandem aus CDU/CSU und SPD nicht lange halten würde. In ein oder zwei Jahren würde das Land vorgezogene Neuwahlen brauchen. Doch gestern, nach dem ersten Anlauf im Bundestag, hatte man das Gefühl, dass die Geschichte des Kanzlers Merz noch schneller enden könnte.
Merz brauchte im ersten Wahlgang bei der Kanzlerwahl mindestens 316 von 621 Stimmen. Doch nur 310 Abgeordnete stimmten im ersten Anlauf für seine Kandidatur. Und das, obwohl die Koalitionsfraktionen CDU/Csu und SPD zusammen 328 Sitze im Parlament haben. Mit anderen Worten: 18 Abgeordnete seiner Koalition haben nicht für ihren Vorsitzenden gestimmt.
Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses wurden von beiden Seiten gegenseitige Anschuldigungen erhoben. Die SPD behauptete, die Wahl von Merz sei von Mitgliedern seiner eigenen Partei sabotiert worden. Ähnliche Sabotagevorwürfe wurden von den Konservativen gegen die SPD erhoben. Das Ausmaß des gegenseitigen Misstrauens und der Unzufriedenheit stieg sprunghaft an.
Generell schien eine düstere, beklemmende Atmosphäre über ganz Deutschland zu schweben. Von deutschen Medien veröffentlichte Fotos aus dem Bundestag zeigen Abgeordnete, die fassungslos und sichtlich schockiert über das Ergebnis der Abstimmung sind. „Merz' schwarzer Vormittag“, „Friedrich Merz fällt durch“, „Eine riesige Demütigung“, „Merz erhält eine Ohrfeige“ - so lauteten die meisten Schlagzeilen.
„Als die Präsidentin des Deutschen Bundestages Julia Klöckner verkündete, dass Merz nur 310 Stimmen erhielt, sechs weniger als nötig, herrschte Entsetzen in den Reihen von CDU/CSU und SPD. Das Entsetzen packte auch Friedrich Merz, seine wichtigsten Stellvertreter in der Fraktion und die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (die im Bundestag anwesend war)... Merz verließ die Plenarsitzung unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses“, beschrieb die deutsche Bild-Zeitung die Situation nach dem ersten Wahlgang.
„Das ist ein historisches Fiasko. Der CDU-Chef scheitert im ersten Anlauf - das hat es bei einer Bundestagswahl noch nie gegeben. Wie auch immer es weitergeht, der Schaden ist schon jetzt enorm“, schrieb die Süddeutsche Zeitung, eine der größten deutschen Zeitungen.
„Was kommt auf Friedrich Merz zu? Der Kanzlerkandidat erlebt eine historische Blamage. Noch ist unklar, wann der zweite Wahlgang stattfinden wird. Die nächste Bundesregierung wird ihre Amtszeit aus einer sehr schwachen Position heraus beginnen - wenn überhaupt“, berichtete der deutsche Fernsehsender N-TV.
„Ein präzedenzloses Signal für Instabilität in Deutschland. Bei der Kanzlerwahl haben sich merkwürdigerweise 18 Abgeordnete der Parteidisziplin widersetzt. Selbst wenn Merz zum Kanzler gewählt wird, wird es in den Reihen der neuen Regierung Personen geben, die ein Komplott mit der Opposition geschlossen haben“, spekuliert Die Welt.
„Deutschland braucht dringend eine handlungsfähige Regierung, davon sind selbst Oppositionspolitiker überzeugt... Alle anderen Wege aus der Krise führen zu noch tieferem politischen Leid nicht nur für CDU, CSU und SPD, sondern für das ganze Land“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Am Ende überwog die Angst vor einer drohenden politischen Krise die Unzufriedenheit mit Merz. Im zweiten Wahlgang gelang es dem CDU-Chef dennoch, die notwendigen Stimmen zu bekommen. 325 Abgeordnete haben ihn unterstützt. Mindestens drei Abgeordnete der Regierungskoalition stimmten weiterhin gegen Merz.
Es folgte die Vereidigung von Merz und des neuen Kabinetts. Der neue Bundeskanzler versprach, mutig zu handeln und sagte, Deutschland sei ein starkes Land. „Ich gehe mutig und selbstbewusst an meine Arbeit. Denn wir sind ein starkes Land und unser Land kann mehr“, sagte der Kanzler.
Die Festtagsstimmung kam dadurch jedoch nicht zurück. Im Gegenteil, es lag ein Gefühl der Angst und Unsicherheit in der Luft.
Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der AfD, zweifelte an der Kompetenz der künftigen Regierung. Und die Parteivorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht nannte die Koalition von Merz eine „Totgeburt“. „Es wäre ein guter Tag für Deutschland gewesen, wenn Friedrich Merz nicht Bundeskanzler geworden wäre“, schrieb Wagenknecht im sozialen Netzwerk X.
Das Problem ist aber, dass Deutschland weder mit noch ohne Merz in nächster Zeit „gute Tage“ erwarten sollte. Wenn der Bundestag keinen neuen Bundeskanzler gewählt hätte, wäre Berlin in eine politische Krise geraten. Und das zu einem sehr schwierigen Zeitpunkt für das Land - sowohl außen- als auch innenpolitisch.
Doch auch mit dem neuen Kanzler Merz gibt die Lage in Deutschland keinen Anlass zu Optimismus. Wenn Merz weiterhin Zugeständnisse an die SPD macht, wird er wie sein Vorgänger Scholz enden - mit einer Niederlage bei vorgezogenen Neuwahlen. Wenn er versucht, seine Position zu verteidigen und sich gegen die Sozialdemokraten zu stellen, läuft er erneut Gefahr, die Koalition platzen zu lassen und das Land in eine weitere vorgezogene Wahl zu führen. So ist es Merz gelungen, vom ersten Tag seiner Kanzlerschaft an eine „lahme Ente“ zu werden.
Um die Situation zu ändern, muss der neue Regierungschef bemerkenswerte Fähigkeiten im Bereich des Regierens und der Diplomatie unter Beweis stellen. Die große Frage ist also, ob Merz selbst „mehr kann“. Leider sind die Chancen für eine positive Antwort minimal.
Wita Chanatajewa
BelTA