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23 November 2024, 15:34

„Diese Oma hat das letzte Brot gekauft“. Fotografen erzählen über ihre Fotos aus den 1990-er 

Das einzigartige BelTA-Fotoprojekt „Belarus. Aufschwung“ erzählt die Geschichte eines Landes, das vor 30 Jahren einen souveränen Weg gegangen ist. Dank den Plakaten kann man den Unterschied buchstäblich spüren!

Dank des „Marathons der Einheit“ haben bereits viele Städte das neue Projekt der Belarussischen Telegraphenagentur „Belarus. Aufschwung“ gesehen. Es handelt sich um 40 Plakate mit Fotos, die den Unterschied zwischen dem heutigen Leben und dem Leben in den rauen 1990er Jahren zeigen, als unser Land gerade unabhängig geworden war. Einige historische Fotos wurden von echten Meisterfotografen aufgenommen - Arkadi Nikolajew, Wladimir Schuba und Alexander Didewitsch. Wir haben von ihnen erfahren, welche wahren Geschichten hinter jedem dieser Fotos stecken.

Fakten - auf das Plakat

Bei der Vorbereitung der Ausstellung verbrachten die Autoren einen Monat in Bibliotheken und studierten Zeitungen aus den 1990er Jahren. Manche Artikel brauchte man nicht einmal zu lesen - so aussagekräftig waren ihre Titel: „Frauen, bringt keine Kinder zur Welt!“, „Gefährlich sind verärgerte hungrige Offiziere“, „Lebenslange Warteschlange“, „Wurst bis Herbst gibt es nicht...“, „Telefon für Reiche“, „Werden Medikamente bezahlbar?“.
Was für die heutige Jugend bereits ein Teil der sowjetischen Geschichte ist, sind für die BELTA-Fotografen persönliche Erinnerungen, die sie auf Fotos festgehalten haben. Eines davon zeigt einen typischen Markt aus den 90er Jahren.

„Das ist der Moskauer Markt, der auf einem leeren Grundstück im Südwesten der Hauptstadt errichtet wurde“, erzählt Alexander Didewitsch. „Sie stellten Schuppen auf und verkauften alles Mögliche - landwirtschaftliche Produkte, Kleidung. Ich selbst habe früher ständig dort eingekauft. Die jungen Leute wissen wahrscheinlich gar nicht mehr, dass ihre Eltern einst froh waren, solche Läden zu haben. Denn das Drumherum war nicht so wichtig wie die Möglichkeit, etwas zu kaufen - es herrschte überall Warenmangel! Um zum Beispiel ein Möbelstück für den Haushalt zu kaufen, musste man zwischen 10 und 40 Jahren in der Warteschlange warten, und für ausländische Möbeln musste man sich für 100 Jahre voraus einschreiben! Heute ist das Problem ein anderes: Wie wählt man aus dem riesigen Warenangebot das aus, was man braucht?“

Ein weiteres aussagekräftiges Bild von Alexander Didewitsch ist das Foto eines Hofes, in dessen Mitte ein einsames Holzgerüst steht.

„Das ist der Hof meines Hauses, in dem ich heute wohne. Aber heute ist er nicht mehr wiederzuerkennen: Anstelle der Rutsche steht ein ganzer Spielplatzkomplex, hell und modern“, sagt der Maestro.
Schulden zurückzahlen, wenn die Zeiten sich ändern 

Das Foto von Wladimir Schuba zeigt leere Einzelhandelsgeschäfte, wie sie für Millionen von Menschen in der UdSSR um die Jahrhundertwende der Alltag waren.
„Das ist ein Geschäft in der Tschernobyl-Zone“, sagt der Fotograf. „Im Vordergrund steht eine Großmutter mit traurigen Augen, die den letzten Laib Brot gekauft hat. Die Verkäuferin trägt in das Schuldbuch ein, wer was kauft. Und warum? Weil die Löhne und Renten nicht pünktlich gezahlt wurden, die Menschen hatten kein Geld zur Verfügung. Sie liehen sich Geld, um die Schulden später zurückzuzahlen, in besseren Zeiten.“

Ein weiteres Foto von Wladimir Schuba stammt aus der Serie der „neuen Stadtviertel“. Man baute ein Plattenhaus mitten auf einem leeren Feld - und es gab nichts in der Nähe! Abgesehen von Schneeverwehungen und ein paar Autos im Innenhof.
„Die Leute waren froh, selbst in solch einfachen neunstöckigen Plattenhäusern eine Wohnung zu bekommen. Damals waren fast alle Häuser typisch, identisch, wie in dem berühmten Film „Die Ironie des Schicksals“, sagt der Autor. „Es ist gut, dass die Architekten jetzt ihrer Fantasie freien Lauf lassen können, und die Häuser werden komplett mit der gesamten Infrastruktur ausgestattet geliefert - mit Kinderkomplexen, Tiefgaragen, Landschaftsgestaltung. Ein Geschäft und ein Kindergarten sind zu Fuß erreichbar. Und in den 90er Jahren waren unsere Höfe halbleer. Ein Auto wurde wirklich als Luxus angesehen. Wer hätte gedacht, dass es eines Tages in Belarus mehr als 300 Autos pro tausend Einwohner geben würde - mehr als in anderen GUS-Ländern?“
Mit eigenen Gabeln in die Kantine?

Besonders beeindruckt sind die Ausstellungsbesucher von dem Foto der Kantine aus der postsowjetischen Zeit. Riesige Plakate an der Wand warnen: „Der Pfandpreis für eine Gabel und einen Löffel beträgt 10 Rubel“, „Kameraden! Bitte bringen Sie Ihr eigenes Besteck mit“.

„Das Bild wurde übrigens in der Kantine einer der Fabriken im Zentrum der Hauptstadt aufgenommen“, sagt Arkadi Nikolajew. „Vielleicht erscheint eine solche Situation heute absurd und lächerlich, aber es ist alles passiert, und wir haben dieses Absurd wirklich erlebt.“
Ein anderes Foto des Autors vermittelt die einzigartige Atmosphäre der 90er Jahre: ein gewöhnliches Wohnhaus, ein offenes Fenster im Erdgeschoss und eine Treppe, die direkt vom Hof aus zu ihm führt. Oben befindet sich ein Schild: „Schuhreparatur“.
„Das waren die ersten privaten Unternehmer, die versucht haben, sich nach bestem Wissen und Gewissen an die neuen Marktbedingungen und -verhältnisse anzupassen“, schmunzelt Arkadi Nikolajew. „Stellen Sie sich vor, Sie würden heute eine solche Schuhsammelstelle sehen. Wahrscheinlich würden viele Leute denken, dass es sich um einen Scherz handelt. Aber damals war ein solches Wunder der Dienstleistung alltäglich.“
Von schlaglochübersäten Straßen bis zu breiten und bequemen Autobahnen

Journalisten waren schon immer aufmerksame Beobachter, die in der Lage waren, einen lebendigen Moment einzufangen und ihn im Bild festzuhalten. Eines Tages war Arkadi Nikolajew auf dem Weg zur Arbeit und bemerkte ein Wunderwerk der Technik, das sich auf dem Prospekt der Unabhängigkeit bewegte. Eine Sekunde reichte, um diesen Augenblick Geschichte werden zu lassen.

„Ein cleverer Mann baute das Dach des Kinderwagens als Gepäckanhänger für sein Fahrrad um. Ein gescheiter Mann“, erinnert er sich. „Er fuhr auf dem Bürgersteig, weil es keine Fahrradspuren gab. Natürlich wussten wir aus ausländischen Filmen, dass es im Ausland solche Fahrradwege gab, aber wir konnten uns nicht vorstellen, dass es eines Tages auch bei uns so sein würde.“

Und die Straßen, die etwas zu verbergen haben, ließen in den 90er Jahren viel zu wünschen übrig. Ein anderes Foto ist ein Beweis dafür. Eines Tages war der Fotograf von einer Geschäftsreise auf der Autobahn Minsk - Sluzk mit seinem Dienstwagen Moskwitsch-408 unterwegs. Plötzlich sah er ein Auto, das in einem Sumpf versunken war. „Ich drehte mich um, hielt an und schoss ein Bild zum Andenken.“
„Es stellte sich heraus, dass das ertrunkene Auto der gleiche Moskwitsch war wie meiner“, erinnert sich der berühmte Fotograf. „Also beschloss ich, einen Streich mit meinem Chef zu spielen. Ich kam zur Arbeit, zeigte ihm das Bild und sagte: „Ärgerlich! Ich bin mit meinem Auto versehentlich in einen Sumpf gefahren. Ich habe es gerade noch geschafft, mich selbst zu befreien.“ Und er antwortete ruhig: „Keine Panik, wir ziehen dich schon da raus“. Man hatte in BelTA niemals Angst vor Schwierigkeiten! Übrigens war diese Straße in einem schrecklichen Zustand - mit Schlaglöchern, blasigem Asphalt. Tatsächlich gab es nicht einmal einen Bordstein.“
Man mag es kaum glauben, wenn man das moderne Belarus mit seinen luxuriösen Autobahnen betrachtet - breit und bequem für Autofahrer. Heute verbinden rund 90 Tausend Kilometer öffentlicher Straßen alle größeren Siedlungen, regionalen Städte und die Hauptstadt. Außerdem haben fast alle Autobahnen einen verbesserten Straßenbelag.

Ja, nach drei Jahrzehnten ist vieles vergessen worden. Umso interessanter sind solche Ausstellungen wie „Belarus. Aufschwung“, wo Fotos an die schwierige Geschichte unseres Landes erinnern. Daran, wie wir trotz aller Entbehrungen, Härten, Alltäglichkeiten, nicht zusammengebrochen sind. Wie wir begonnen haben, eine neue Geschichte des bereits souveränen Belarus zu schreiben.
- Dank der BELTA-Fotografen können wir auf den Plakaten das Leben sehen, das in unserem Land vor einigen Jahrzehnten herrschte. Wir können erkennen, wie viel in 30 Jahren geschaffen wurde, und unsere eigenen Schlussfolgerungen ziehen“, sagt Irina Akulowitsch, BelTA-Generaldirektorin. „Alle Fotos sind sehr warm und menschlich. Sie spiegeln das alltägliche Leben der einfachen Leute zu jener Zeit wider. Wir können sehen, wie sie Fahrräder, Münztelefone und Waschmaschinen benutzten, wie sie sich ausruhten und ihren Alltag gestalteten. Es ist klar, dass der Fortschritt nicht nur in Belarus, sondern auch in anderen Ländern Einzug gehalten hat. Heute verfügen wir über die gleichen Geräte und technischen Neuerungen wie Deutschland, Australien oder die USA. Aber wenn wir 30 Jahre zurückblicken, müssen wir feststellen, dass unser Start ganz anders war, sehr hart. In Deutschland sah damals niemand leere Regale und wusste nichts von der Existenz von Coupons oder Gutscheinen, obwohl die so genannte Wiedervereinigung des Landes von ziemlich schwierigen Prozessen begleitet war. Umso beeindruckender sind die Erfolge und Errungenschaften von Belarus und den Belarussen in dieser kurzen Zeitspanne.“
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