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02 Januar 2025, 20:00

„Kleinkindern wurden Sterne auf die Brust geritzt, sie wurden lebendig ins Feuer geworfen.“ Welche Gräueltaten verübten die Nazis an den Einwohnern von Rossony 

Rossony ist eine städtische Siedlung im nördlichen Belarus. Während des Großen Vaterländischen Krieges wurde in der Region eine Partisanenzone mit Flugplätzen und Telefonverbindung eingerichtet. Mehr als 20 Tausend Volksrächer aus Belarus, Russland, Lettland und Litauen bereiteten sich hier auf Operationen im rückwärtigen Operationsgebiet der Deutschen vor. Für die meisten Historiker aus den baltischen Staaten sind die Ereignisse jener Jahre eine vergessene Geschichte, aber in Belarus bewahrt man die Erinnerung an den Heroismus der sowjetischen Partisanen.

Mechanisierte Horden gegen die Infanterie

In den ersten Julitagen des Jahres 1941 rückten die Einheiten der 22. Armee der Westfront unter dem Kommando von Generalleutnant Filipp Jerschakow in den Kreis Rossony ein. Die Soldaten sollten die Linie Kraslawa (Lettland)-Witebsk halten, auf der die 16. Armee und die 3. Panzerarmee der Wehrmacht heranrückten. Ende Juni wurden auf diesem Territorium schwere Kämpfe ausgetragen. Sie fanden hauptsächlich in den Festen Plätzen Sebesch und Polozk statt.
Am 15. Juli gelang es den Deutschen, die sowjetische Verteidigung in der Nähe des Bahnhofs Dretun zu durchbrechen und die Umzingelung nach Osten, in die Nähe von Newel (heute Gebiet Pskow) zu schließen. Die in die Einkesselung geratenen Divisionen der Roten Armee setzten zum Durchbruch an und kamen im Umkreis Welikije Luki zu den anderen sowjetischen Truppen. 

„Informationen über die Heldentaten sowjetischer Kämpfer im Sommer 1941 haben uns nicht erreicht“, sagt Chefkurator der Bestände des „Museums der Kampfgemeinschaft“ Sergej Solowjow. „Über die schweren Kämpfe im Kreis Rossony, an denen 14 Tage lang die 98. und 112. Schützendivisionen teilnahmen, sprechen folgende Tatsachen. Die Soldaten, denen es gelang, sich aus der Umzingelung zu befreien, wurden von zwei Divisionen auf zwei Regimenter reduziert. Von 25.000 Mann blieben nur noch 2.000 übrig... Jeder Kampftag im Sommer 1941 ermöglichte es jedoch, Reserven anzuhäufen, die Verteidigungslinien zu stärken und das Offensivpotenzial der Nazis zu verschlechtern. Jeder wusste: „Der Feind wird zerschlagen werden, der Sieg wird unser sein“.
Die Zahl der Volksrächer erreichte bis zu 20 Tausend Menschen

Die ersten Partisaneneinheiten im Kreis Rossony - „Tschkalow“ und „Tschapajew“ - wurden Ende Juli 1941 gebildet. Aber schon im Herbst wurden sie in das sowjetische Hinterland gebracht und den Militäreinheiten angeschlossen. Gleichzeitig begann ab August 1941 ein breites Netz von Untergrundorganisationen auf dem Gebiet des Bezirks zu agieren.   
          
„Im Frühjahr 1942 wurde die Partisanenbewegung in Rossony auf der Grundlage von Untergrundgruppen wiederbelebt“, sagt Sergej Solowjow. „Am 19. April wurde im Dorf Kljastizy die Schtschors-Einheit gebildet. Die Einheit wurde von Pjotr Mascherow geleitet. Am 30. April wurde die Stalin-Einheit gebildet. Das Kommando übernahm Rodion Ochotin. Von diesem Zeitpunkt an erhielt die Partisanenbewegung im Kreis Rossony einen Massencharakter. 

Am 29. Mai 1942 fand im Dorf Meschno eine Versammlung der Kommunisten statt, auf der eine neue Zusammensetzung des Untergrundbezirkskomitees beschlossen wurde, das die Partisanenaktivitäten leitete. Gleichzeitig wurde im Kreis ein Partisanenstab eingerichtet, der den Kampf von 10 Partisaneneinheiten leitete. Anfang Juli wurde aus dem Hinterland die Sondereinheit 17 unter dem Kommando von Andrej Petrakow eingetroffen.
"Die Einheit 17 wurde gegründet, um die Partisanenbewegung hinter den deutschen Linien zu organisieren, aber es stellte sich vor Ort heraus, dass die Bewegung bereits existierte, man musste sie nur noch organisatorisch festigen“, so Sergej Solowjow. „Alle Einheiten wurden in eine Brigade zusammengeführt - „Für Sowjetbelorussland.“ Später wurde sie in vier Brigaden aufgeteilt. 

Die Partisaneneinheiten wurden durch neue Kämpfer immer größer, sie führten ununterbrochen Kämpfe gegen den Feind. So zerstörten die Partisanen am 4. August 1942 eine Brücke über die Drissa in der Nähe der Kreuzung Benislaw. Sie bestückten ein Floß mit Sprengstoff und sprengten so eine 110 Meter lange Eisenbahnbrücke, anschließend vernichteten sie eine Garnison der Nazis. Im September zerstörten sie eine zweispannige Brücke in der Nähe von Sawkino. In beiden Fällen gelang es ihnen, den deutschen Zugverkehr in Richtung Osten für zwei Wochen lahmzulegen. 

Im Sommer-Herbst 1942 vernichteten die Volksrächer alle deutschen Garnisonen auf dem Territorium des Kreises, der Rest der Besatzer floh nach Polozk. Zu Beginn des Herbstes waren die Partisanen den Nazis sowohl zahlenmäßig als auch von der Bewaffnung her überlegen. Am 19. September wurde die rote Fahne über dem Kreisexekutivkomitee Rossony gehisst.
„Der 19. September gilt als der Tag der Gründung der Partisanenzone Rossony-Osweja. Sie umfasste die Territorien der Kreise Rossony, Osweja, teilweise Drissa, Sebesch, Idriza, Newel“, sagt Sergej Solowjow. „Hier agierten nicht nur belorussische Einheiten, sondern auch Einheiten aus dem russischen Gebiet Kalinin, lettische und litauische Partisanenformationen. Die Partisanenzone Rossony- Osweja wird auch als „Partisanenland Bratski“ bezeichnet, das an der Schnittstelle der drei Republiken entstand. Die Gesamtzahl der Volksrächer erreichte hier manchmal bis zu 20 Tausend Personen.

Jede Einheit verfügte über ein eigenes Gebiet, das in etwa der Größe einer Dorfgemeinde entsprach. Sie kommunizierten per Telefonverbindung. In Rossony wurde bis März 1943 die sowjetische Macht wiederhergestellt - die Kommandantur, eine Mühle, Friseurläden und Bäder funktionierten. In der Nähe des Dorfes Rownoje Pole gab es einen Partisanenflugplatz, und auch ein Kraftwerk war in Betrieb. Ein weiterer Flugplatz im Dorf Seljawschina, südlich von Rossony, wurde seit Herbst 1942 von Flugzeugen aus dem Hinterland angeflogen.

Die Deutschen waren machtlos, deshalb verübten sie Gräueltaten und führten Strafoperationen durch. Die größten davon waren die Operation Schneehase (vom 28. Januar bis 12. Februar 1943) und die Operation Winterzauber (vom 16. Februar bis 31. März 1943). Bei der ersten sollten die Volksrächer an die Eisenbahnstrecke Polozk – Idriza gedrängt und dort vernichtet werden. Zwei Partisanengruppen starteten jedoch eine Gegenoffensive und drängten die Deutschen bis Mitte Februar aus dem Kreis Rossony zurück. Dann begann eine noch blutigere Operation Winterzauber.  Ihr Ziel war klar: Die Zerstörung der Siedlungen in der Partisanenzone mitsamt ihrer Bewohner.
Am „Winterzauber“ nahmen Henker aus Lettland, Litauen, Estland und ukrainische Kollaborateure teil. Die Gräueltaten der Unmenschen sprengten jeden erdenkbaren Rahmen. Kleinen Kindern wurden Sterne auf die Brust eingeritzt. Ihre Köpfe wurden zertrümmert, sie selbt wurden lebendig ins Feuer geworfen. In der Nähe von Rossony befindet sich ein Denkmal für die Einwohner des Dorfes Welje, das im Februar 1943 verbrannt wurde. In jenen schrecklichen Tagen kam ein Strafkommando in die Siedlung, die erwachsenen Bewohner wurden zum Verhör getrieben und dann in ihre Häuser entlassen mit dem Befehl, in einer Stunde mit allen Familienangehörigen zurückzukehren.
 
„Bei der wiederholten Zusammenkunft wählten die deutschen Soldaten 74 Personen aus „Partisanenfamilien“ aus und richteten sie am Rande des Dorfes hin“, nennt Sergej Solowjow die schrecklichen Fakten. „Das jüngste Kind war 1 Jahr alt. Von den Häusern blieb nur Asche. Im Schuppen konnte man Überreste der Hingerichteten finden. Nach dem Krieg wurde Welje nie wieder zum Leben erweckt. 
Im Zuge der Strafaktionen wurden Zehntausende von Zivilisten auf grausame Weise getötet, mindestens 15.000 wurden zur Arbeit nach Deutschland verschleppt. Große Gebiete wurden einfach entvölkert... Der Widerstand der Partisanen von Rossony konnte jedoch nicht gebrochen werden. Bereits im Sommer 1943 nahmen die örtlichen Partisanen sehr aktiv am Eisenbahnkrieg teil.

Unglaubliches Heldentum

Im Herbst 1943 näherte sich die Front erneut dem Kreis Rossony. Die Nazis führten vom 31. Oktober bis zum 9. November 1943 eine weitere Strafaktion gegen die Volksverteidiger durch – Operation Heinrich. Ihr Ziel war es, die Partisanenkräfte in zwei Teile zu spalten und zu vernichten. Nach fünf Tagen blutiger Kämpfe gelang es den Deutschen, das Gebiet aufzuteilen, doch die weitere Entwicklung verlief nicht nach Plan. Die Truppen der 1. Baltischen Front eilten den im östlichen Teil des Gebietes blockierten Volksrächern zu Hilfe. Sie durchbrachen die deutsche Verteidigungslinie und befreiten den östlichen Teil von Rossony. Später spielte das schwierige Terrain eine große Rolle: hier gab es viele Flüsse, kleine Seen und dichte Wälder. Die Front stabilisierte sich auf der Linie Dorf Gorbatschewo – See Neschtscherdo – Station Dretun. Diese Situation blieb bis Juli 1944 bestehen.  
Während der Operation „Bagration“ blieb der Kreis Rossony weit vom Hauptkriegsschauplatz entfernt. So rückte die 1. Baltische Front südlich des Kreiszentrums vor. Die Hauptzielrichtung des Angriffs war Polozk. Die Offensive im Kreis Rossony begann erst am 11. Juli 1944 im Rahmen der Operation Reschizy-Dwina, an der die 22. Armee der 2. Baltischen Front teilnahm. 

„Es gab eine unerwartete Parallele - im Juli 1941 wurde das Gebiet ebenfalls von der 22. Armee verteidigt, allerdings an der Westfront“, sagt Sergej Solowjow. „Unsere Soldaten haben erneut Heldentum an den Tag gelegt.“

So versuchte die Führung der Roten Armee am Vorabend der Generaloffensive, die deutsche Verteidigung zu sondieren. Am 8. Juli überquerte das 1336. Schützenregiment von Major Emmanuil Gotlieb den Fluss Neschtscherda, brach in die Schützengräben der Deutschen ein und befreite das Dorf Kowali. Die Besatzer warfen zwei Infanteriebataillone, drei Panzer und fünf Selbstfahrlafetten gegen die sowjetischen Kämpfer, woraufhin 16 Gegenangriffe folgten. Alles war vergeblich, die Deutschen verloren mehr als 700 Soldaten und Offiziere, zwei Lafetten, Major Gotlieb erhielt (auch für diese Schlacht) den Titel „Held der Sowjetunion“.
                                          
Rossony wurde in der Nacht zum 12. Juli 1944 befreit, als der größte Teil der deutschen Armee in Belarus bereits geschlagen war. Unter den Schlägen der Roten Armee flohen die Nazis in Panik nach Westen. 

Mascherow Straße

Pjotr Mascherow wurde im Ujesd Senno (heute Gebiet Mogiljow) geboren. In den 1930-er Jahren lebte die Familie im Gebiet Witebsk. Vor dem Krieg arbeitete er als Lehrer für Mathematik und Physik in Rossony. Im Juni 1941 meldete er sich freiwillig an die Front, kämpfte in einem Vernichtungsbataillon, wurde in der Nähe von Newel gefangen genommen, flüchtete aber und kehrte zu seiner Mutter nach Rossony zurück. Im August 1941 wurde er Leiter der Untergrundbewegung im Dorf. Im April 1942 wurde er zum Kommandeur der Schtschors-Einheit gewählt und leitete eine Reihe erfolgreicher Operationen gegen die Nazis. Er wurde mehrmals verwundet. Im März 1943 wurde er Kommissar der Rokossowsky-Brigade. Er nahm an den Kämpfen gegen den Feind teil, als die Deutschen die Operation Winterzauber durchführten. Im Jahr 1944 wurde er mit dem Titel „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet. Vom 30. März 1965 bis zum 4. Oktober 1980 war er Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von Belarus. Im Jahr 1978 wurde Mascherow mit dem Titel „Held der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet. Nach Pjotr Mascherow wurden Alleen in Brest, Baranowitschi und Minsk, Straßen in Dawid Gorodok, Klezk, Lida, Luninez, Rossony und Smorgon genannt. Auch eine Reihe von Organisationen und Bildungseinrichtungen tragen den Namen des legendären Partisanen.
Ochotin Straße  

Ochotin wurde in der russischen Republik Mari El geboren. Ein Militäroffizier. Er nahm am sowjetisch-finnischen Krieg teil und wurde verwundet. Nach dem Krieg diente er im Kreis Polozk. Im besetzten Belarus ging er in den Untergrund, dann zu den Partisanen, wo er die Stalin-Einheit leitete. Am 29. Mai 1942 wurde er auf der Versammlung der Kommunisten von Rossony zum Stabschef gewählt, der die Partisanenbewegung im Bezirk leitete, gleichzeitig war er Leiter der Stalin-Brigade. Rodion Ochotin organisierte während der Operationen Schneehase und Heinrich eine effektive Verteidigung gegen die deutschen Truppen. Später leitete Oberst Ochotin das 1270. Schützenregiment der 385. Schützen-Division, das an der Erstürmung der Oder teilnahm. Nach seiner Demobilisierung im Jahr 1947 war er in der Partei- und Organisationsarbeit tätig. In den Jahren 1955-1969 war er Vorsitzender der Lenin-Kolchose in seiner kleinen Heimat. Rodion Ochotin kam oft nach Belarus, wo er stets ein gern gesehener Gast war. Die Straßen in Rossony, Joschkar-Ola und Swenigowo (Republik Mari El) tragen den Namen des Brigadekommandeurs.

Chomtschenowski Straße

Er wurde 1920 im Dorf Pirogi, Kreis Dubrowno, Witebsk, geboren. Vor dem Krieg arbeitete er als Lehrer in einer Dorfschule. Ab August 1941 war er Mitglied der Untergrundgruppe in Rossony, ab April 1942 stellvertretender Kommandant des Nachrichtendienstes der Schtschors-Partisaneneinheit. Seinen Kampfgenossen blieb Wladimir Chomtschenowski als furchtloser, energischer und geschickter Anführer in Erinnerung. Er nahm an allen bedeutenden Operationen seiner Einheit teil. Im Dezember 1942 geriet die Gruppe unter seinem Kommando während eines Kampfeinsatzes in der Nähe des Dorfes Glisnowka (Polotsk) in einen Hinterhalt.  Den Aufklärern gab er den Befehl zum Rückzug, er selbst aber kämpfte gegen die Deutschen. Der Kampf war ungleich, die letzte Patrone behielt er für sich... Das Dorf Glisnovka wurde vollständig niedergebrannt, nach dem Krieg wurde das Dorf nicht wiederbelebt. Am 8. Mai 1965 wurde Wladimir Chomtschenowski „für besondere Verdienste im Kampf gegen die deutschen faschistischen Invasoren im Rücken des Feindes und für Tapferkeit und Heldentum“ posthum der Titel „Held der Sowjetunion“ verliehen. Die sterblichen Überreste des Partisanen sind im Gedenkpark Rossony beigesetzt, und eine Straße im Stadtzentrum trägt seinen Namen.

Autor: Alexej Gorbunow,
Fotos: Nadeschda Kostezkaja, 
Zeitung „7 Tage“
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