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08 Juni 2024, 13:37

Tomasz Szmydt: Mein erster Monat in Belarus 

Tomasz Szmydt, ehemaliger Richter des Verwaltungsgerichts Warschau, hat Anfang Mai Polen verlassen und ist nach Belarus gekommen. Hier stellte er einen Schutzantrag. In seinem privaten Telegramkanal erzählt er über die Eindrücke, die er nach einem Monat Aufenthalt in Belarus gesammelt hat. 

Hallo! Mein Name ist Tomasz Szmydt. Ich bin ein Pole, geboren in Bialystok. Ich habe mein ganzes Leben lang in der Justiz gearbeitet. Bis Mai 2024 war ich Richter am Woiwodschafts-Verwaltungsgericht in Warschau. Im Sommer 2023 war ich zum ersten Mal in Belarus.
Als ich nach Belarus kam, konnte ich meinen Augen nicht glauben. Weil die polnischen Medien ein ganz anderes Bild von Belarus malen. Dort finden Sie kein einziges gutes Wort über das Land, seinen Präsidenten Alexander Lukaschenko und einfache Menschen. Leider ist die Macht der Medien so groß, dass auch ich einige Befürchtungen hatte, wie mich in Belarus einfache Menschen begegnen würden. 

Trotz dieser Befürchtungen sprach ich ohne Angst mit den Belarussen, fragte sie nach einfachen Dingen des Lebens, nach ihrer Meinung über Polen und Menschen aus der Europäischen Union. Diese Gespräche waren sehr interessant, und man muss sagen, dass Belarussen uns, Polen, sehr gut aufnehmen. Sie wissen, dass wir alle Slawen sind und dass wir mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Negative Worte betrafen nur die polnische Regierung und ihre Politik gegenüber der Republik Belarus. Meine Gesprächspartner konnten nicht verstehen, warum die nächsten Nachbarn nicht miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten wollen, warum die polnische Regierung so verärgert ist und wozu all diese Sanktionen und Schwierigkeiten. Ich kann diese Fragen nicht beantworten, denn gute nachbarschaftliche Beziehungen sind wichtig. Aber die Regierung in Warschau hat keinen guten Willen.

Ich war von der Stadt Minsk sehr begeistert. Hier trifft Moderne auf Tradition. Hier wird das Gedenken an die Helden der Roten Armee respektiert, hier wird mit der historischen Erinnerung und Traditionen sehr sorgsam umgegangen. Minsk hat schöne moderne Gebäude, breite Straßen, eine Metro, viele Geschäfte und Restaurants. Die Stadt ist grün, hat viele Parks und Erholungsorte, sandige Strände in unmittelbarer Nähe des Minsker Meeres. Alles ist ordentlich, überall ist es sauber. Natürlich ist ein Besuch im Park des Sieges ein Muss, genauso wie eine Exkursion im Staatlichen Museum für die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges oder in der Nationalbibliothek. Wie Warschau wurde auch Minsk während des Zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstört, und genau wie die Polen beschlossen die Belarussen, ihre Hauptstadt wiederaufzubauen.

Hier in Minsk musste ich eine für mich sehr schwierige Entscheidung treffen. Aus Protest gegen die feindselige Politik der polnischen Regierung gegenüber Belarus beschloss ich, mein Amt als polnischer Richter niederzulegen und meine Ansichten darzulegen. Das war eine Zeit, wo ich schwere Gedanken und einen großen Stress hatte. Unterstützung fand ich gerade bei meinen neuen Freunden aus der Nachrichtenagentur BelTA, und ich danke ihnen sehr für ihre Hilfe und ihre warmen Worte.

Die nächsten zwei Wochen habe ich zig Interviews für belarussische und russische Medien gegeben. Endlich konnte ich frei darüber sprechen, was ich von der Politik der polnischen Behörden halte, wie ich die geopolitische Lage in der Welt einschätze und welche Bedrohungen sich aus dem Vorgehen der USA ergeben könnten. Interessanterweise wollte mich keines der bekannten polnischen Medien interviewen. Ein polnischer Journalist, der ein solches Interview doch wagte, erhielt später Drohungen. Darüber hat er dann öffentlich geschrieben.

Aus den polnischen Medien habe ich erfahren, dass ich ein Spion und Verräter bin.  Es wurde bereits eine Verfügung erlassen, mich strafrechtlich zu verfolgen und ins Gefängnis zu werfen. Bisher wurde mir diesbezüglich jedoch kein Brief ausgehändigt. Könnte es sein, dass die polnische Post streikt und keine Pakete ausliefert? Und im Ernst, mein Beispiel zeigt, wie die totalitäre Regierung in Polen funktioniert.

Aber zurück zu Belarus. Minsk ist wunderschön, aber wie jeder Pole wollte ich schon immer nach Grodno fahren. Diese Stadt wollte ich unbedingt besuchen und ihre Denkmäler sehen. Der Traum war in Erfüllung gegangen.

Grodno ist eine Kombination aus westlicher und östlicher Kulturen. Das sieht man an den orthodoxen und katholischen Kirchen, an den Kultur- und Erinnerungsorten. Ich war begeistert, wie die belarussischen Behörden die polnischen Denkmäler und Friedhöfe pflegen. Es genügt, nach Grodno zu kommen, und es wird deutlich, dass die polnischen Medien lügen. So ist es nicht verwunderlich, dass die polnischen Behörden Touristenreisen nach Belarus so schwierig wie möglich machen.     

Grodno ist schön, aber ich bin von Minsk fasziniert. Als ich nach Minsk zurückkehrte, fühlte ich mich dort wie zu Hause. 
Ich wollte unbedingt das Museum der Bruderschaft, der Roten Armee und der 1. polnischen Division „Tadeusz Kościuszko“ besuchen (das Museum der sowjetisch-polnischen Zusammenarbeit im Kreis Gorki bei Mogiljow - BelTA). Das Museum befindet sich in der Nähe der Stadt Lenino, wo Kościuszkos Soldaten ihre erste Schlacht absolviert haben. Von hier aus begann eine lange Reise, die sie nach Berlin führte.

Der Weg nach Lenino ist nicht weit, aber hier bin ich, nur 10 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Das Museum ist beeindruckend, eine sehr interessante architektonische Idee, das Museumsgebäude ist als Helm eines Rotarmisten aus dem Zweiten Weltkrieg stilisiert. Viele Exponate und Inschriften auf Polnisch. Der Fremdenführer erzählte ausführlich über die Bildung der Division, über die Schlacht von Lenino, über den Kampfverlauf und über die Helden dieses Krieges.

Heute kommen keine offiziellen Delegationen der polnischen Regierung mehr in das Museum, aber die Polen haben es nicht vergessen. Das Museum wird von Kindern und Enkeln der Soldaten der 1. Division  „Tadeusz Kościuszko“ besucht, aber auch von Menschen, die sich für die Geschichte und die Erinnerung an die Brüderlichkeit vieler Nationen interessieren. Auf dem nahe gelegenen Soldatenfriedhof sind neben dem Denkmal ein katholisches Kreuz, ein orthodoxes Kreuz und ein Davidstern zu sehen. Sie erinnern daran, dass Belarussen, Polen, Russen, Ukrainer, Juden und viele andere Völker gegen das Dritte Reich gekämpft haben.  

Auf dem Rückweg wollte ich unbedingt bei Mogiljow vorbeifahren. Dort gibt es eine wunderschöne Barockkirche. Das Gotteshaus ist einzigartig wegen der erhaltenen Fresken aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Während der Sowjetzeit wurde die Kathedrale als Staatsarchiv genutzt. Nach dem Wiederaufbau Ende des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Kirche auf Beschluss von Präsident Alexander Lukaschenko an die Gemeindemitglieder zurückgegeben.

Es war an der Zeit, nach Minsk zurückzukehren. Als ich wieder in der Hauptstadt war, schaute ich auf den Kalender - ich war seit über einem Monat in Belarus. Ich fühle mich hier inzwischen wie zu Hause. Nach dem, was die polnischen Behörden getan haben, kann ich nicht in mein Land zurückkehren, und ich vermisse mein Heimatland noch nicht, vielleicht wegen des Hasses, den die polnischen Medien unter Beteiligung der Regierung gegen mich entfesselt haben. Natürlich wird es Momente geben, in denen ich sie vermissen werde, aber ich bin glücklich, in Belarus zu sein.  
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