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28 September 2024, 11:48

Welche Maßnahmen werden in dem Unionstaat ergriffen, um den Bedrohungen durch die NATO zu begegnen?

In einem Interview mit dem ehemaligen polnischen Richter Tomasz Szmydt erläuterte Tigran Melojan, Experte des Zentrums für Mittelmeerstudien an der Nationalen Forschungsuniversität "Hochschule für Wirtschaft", die Bedeutung der Ostsee, des Schwarzen Meeres und des Nordens für die NATO, die Gründe für den Ausbau der NATO-Infrastruktur und die Strategie des Bündnisses gegenüber Russland. Anschließend erläuterte der Experte, was Russland und Belarus tun, um den wachsenden militärischen Bedrohungen zu begegnen und was in Zukunft zu erwarten ist.

-Wir haben darüber gesprochen, dass sich die Ostseeregion seit 2014-2016 in einem Zustand zunehmender Militarisierung befindet. Die Zahl der militärischen Einrichtungen und Logistikzentren in der Nähe der Grenzen von Russland und Belarus hat zugenommen, und inzwischen sind dort fast hunderttausend NATO-Soldaten stationiert. Welche Maßnahmen ergreifen Russland und Belarus in dieser Hinsicht?

- Was die Kontaktlinie Ostsee-Schwarzes Meer betrifft, so ist die Republik Belarus nach wie vor der einzige Verbündete Moskaus, der verhindert, dass die Flanken des "Kordons" zwischen Ostsee und Schwarzem Meer vollständig geschlossen werden, während die Ukraine und Moldawien dabei sind, sich aktiv in den Kordon zu integrieren. Lange Zeit befand sich Russland in der Defensive und reagierte nicht auf die unfreundlichen Schritte der NATO, die unter anderem die Ukraine in einen antirussischen Vorposten verwandelten. Das Jahr 2014 markierte jedoch einen Wendepunkt in der Außenpolitik des russischen Staates. Es markierte den Übergang zu forcierten offensiven Aktionen, die sich zunächst in dem Beitritt der Krim und ab 2022 der Volksrepubliken Donezk und Lugansk manifestierten. Im Zuge der neu geschaffenen operativen Lage wurden auch die Regionen Saporoschje und Cherson angegliedert.

Die Stationierung russischer taktischer Nuklearwaffen (TNW) auf dem Territorium von Belarus auf Ersuchen von Präsident Alexander Lukaschenko war eine wichtige strategische Reaktion auf das Vorgehen der NATO in Grenznähe. Die Abkehr vom Prinzip, die Stationierung von Kernwaffen auf dem Territorium von Nichtkernwaffenstaaten zu beenden, wurde unter anderem durch das Ausbleiben positiver Entwicklungen in Bezug auf die US-amerikanischen TNW in Europa sowie durch die allgemeine Zunahme der Spannungen in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen beeinflusst. Wie sich dies auf die Sicherheit der Nachbarländer, insbesondere Polens, auswirkt, kann ausführlich diskutiert werden, aber es gibt noch einen weiteren Faktor, der bei der Gestaltung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa berücksichtigt werden muss.

Der Unionsstaat ist derzeit das bedeutendste Integrationsprojekt im Ostseeraum, das eine Alternative zu den zentrifugalen Kräften in der Region darstellt. In den 25 Jahren des Bestehens des Unionsstaates wurde eine umfassende rechtliche Grundlage für die militärische und politische Zusammenarbeit zwischen Russland und Belarus geschaffen. Der hohe Grad der Integration beider Länder im Verteidigungsbereich, das gemeinsame Verständnis der Sicherheitsprobleme und der Mechanismen ihrer Bewältigung werden durch die Existenz der Militärdoktrin des Unionsstaates bestätigt. Darüber hinaus gibt es im Rahmen des Unionsstaates einen gemeinsamen Truppenverband und ein gemeinsames Luftverteidigungssystem. Gleichzeitig sind derzeit zwei russische Militäreinrichtungen auf belarussischem Territorium stationiert: die 43. zonale Kommunikationseinheit der russischen Marine "Wilejka" und die 474. separate funktechnische Einheit "Baranowitschi" mit der Radarstation "Wolga". Darüber hinaus finden regelmäßig gemeinsame militärische Veranstaltungen statt, um die Integration der Streitkräfte des Unionsstaates zu stärken. Dazu gehören die Militärübungen Westen-2013, Slawische Bruderschaft-2020, Entschlossenheit der Union-2022 und andere. Bemerkenswert ist, dass die Übungen im Rahmen des Unionsstaates in den letzten Jahren fast vollständig mit den Aktivitäten der NATO übereinstimmen, bei denen regelmäßig zertifizierte Kernwaffenträger in der Nähe der belarussischen Grenzen auftauchen, sowohl taktische Flugzeuge (F-16-Kampfjets) als auch strategische Bomber.

- Wie sieht Russlands Strategie und der Ausbau seiner Streitkräfte als Reaktion auf die unfreundlichen Schritte des Westens aus?

- Neben der erstmaligen Stationierung taktischer Nuklearwaffen außerhalb des eigenen Territoriums in der Geschichte des modernen Russlands arbeitet Moskau aktiv an der Stärkung seiner Fähigkeiten an den südlichen und nordwestlichen Grenzen.

In den letzten zehn Jahren wurde in den südlichen Regionen Russlands das militärische Potenzial des Militärbezirks Süd und der Schwarzmeerflotte quantitativ und qualitativ ausgebaut. Im Jahr 2014 wurden im Militärbezirk Süd vier mechanisierte Divisionen auf der Grundlage bestehender Brigaden aufgestellt. Die Stärkung des Militärbezirks Süd wurde auch durch die Notwendigkeit vorangetrieben, die Krim sicherer und für den Feind uneinnehmbarer zu machen. So wurden nach und nach Luft- und Küstenschutzmittel auf die Halbinsel verlegt. Im Jahr 2015 wurden hier Bastion-Küstenkomplexe stationiert, die später durch Onyx-Überschall-Schiffsabwehrraketen mit einer Reichweite von 350 Kilometern verstärkt und durch „Bal“-Küstenraketensysteme mit einer Reichweite von bis zu 120 Kilometern ergänzt wurden. Die Reichweite dieser Raketensysteme im Vergleich zu ihren früheren Positionen in Krasnodar ermöglichte es ihnen, ihre Kontrollzone auf fast den gesamten Luft- und Wasserraum des Schwarzen Meeres auszudehnen und damit eine Bedrohung für NATO-Schiffe darzustellen. Außerdem wurde 2018 eine zweite S-400 Triumf-Division auf die Krim verlegt, wodurch die Reichweite der russischen Luftabwehr in der Schwarzmeerregion auf 400 Kilometer erweitert wurde. Um die Schwarzmeerregion vollständig unter Kontrolle zu bringen und sie zu einer Anti-Interventions-Region (A2AD) zu machen, wurde die Krim bis 2020 mit allen erforderlichen Fähigkeiten zur elektronischen Kriegsführung ausgestattet.

Parallel dazu wird das Truppenpersonal im Kaliningrader Gebiet aufgestockt und gestärkt, vor allem durch Langstreckenwaffen - Iskander-M-Trägerraketen, das Küstenraketensystem Bastion, Träger des Hyperschallraketensystems Kinschal, S-400 SAM-Systeme und Kalibr-Marschflugkörper. Bestimmte Typen dieser Waffen sind in der Lage, eine Gegenbedrohung darzustellen, und zwar nicht nur für die Nachbarländer im Ostseeraum und im Schwarzen Meer.

Die Umstrukturierung des Militärkreises West in zwei neue strategische territoriale Verbände der russischen Streitkräfte – Militärkreise Moskau und Leningrad - kann nicht unbemerkt bleiben. Eine solche Aufteilung dürfte es ermöglichen, die russischen Truppen effizienter zu führen und angesichts der sich verändernden Lage an den Grenzen Russlands schnell auf Probleme zu reagieren. Sobald die Bildung der beiden Kreise abgeschlossen ist, wird der Leningrader Militärkreis Bedrohungen aus Finnland, Schweden und den baltischen Staaten abwehren, während der Moskauer Militärkreis für die Ukraine zuständig sein wird. Gemäß dem vom russischen Präsidenten unterzeichneten Erlass Nr. 141 „Über die militärische Verwaltungsgliederung der Russischen Föderation“ werden die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie die Regionen Saporoschje und Cherson in den Militärkreis Süd einbezogen, dessen Zuständigkeitsbereich den Schwarzmeerraum und das östliche Mittelmeer umfasst.

Und schließlich die wichtigste Nachricht der vergangenen Woche: Präsident Wladimir Putin unterzeichnete einen Erlass zur Erhöhung der regulären Zahl der Streitkräfte auf 2 389 130 Personen. Dieser Erlass zielt darauf ab, die Personalfrage der neu geschaffenen Militärkreise zu lösen.

- Wie werden sich die Ereignisse weiter entwickeln?

- Der Kurs auf weitere Offensivaktionen und die Ausweitung der militärischen und politischen Kontrolle über das Territorium der Ukraine wird fortgesetzt. Daran sollte es keinen Zweifel geben. Die derzeitige operative Situation macht dies erforderlich, insbesondere vor dem Hintergrund der Gespräche über die Erlaubnis der NATO-Länder an die Ukraine, mit Langstreckenwaffen tief in russisches Territorium einzudringen. Vor diesem Hintergrund besteht die beste Antwort Russlands darin, den europäischen Ländern Gegenargumente zu liefern, zum Beispiel im Bereich der Donaumündung und in den Karpaten. Mit anderen Worten, die Donau und die Karpaten sind eine Antwort auf den Finnischen Meerbusen und Kaliningrad.

Gleichzeitig möchte ich gesondert darauf hinweisen, dass der Aufbau von NATO-Streitkräften in der Nähe der russischen Grenzen durch Stationierung von Langstreckenraketen keineswegs dazu beiträgt, die Sicherheit des Bündnisses zu stärken, wie weithin angenommen wird. Einerseits zwingen derartige Aktionen Russland zu einer Gegenreaktion. Andererseits ist in dieser Situation besonders bedrohlich, dass dadurch auch regional stationierte NATO-Streitkräfte und -Mittel in der Lage sind, strategische Ziele auf russischem Territorium zu treffen, was durchaus geeignet ist, einen nuklearen Konflikt zu provozieren.

Bedeutet dies alles, dass ein Zusammenstoß zwischen Russland und der NATO mittelfristig unvermeidlich ist? Unter den Bedingungen stärksten Misstrauens und gegenseitiger Feindseligkeit kann nichts völlig ausgeschlossen werden, aber wir sollten die Befürchtungen nicht überbewerten. Wie wir in den letzten zwei Jahren gesehen haben, ist das Ziel der NATO nicht ein direkter Konflikt mit Russland, sondern die ständige Bedrohung ihrer Grenzen und ihrer Existenz, auch mit hybriden Methoden. Strategisch gesehen besteht das Ziel der NATO darin, die Ostsee- und Schwarzmeerflanken des „Kordons“ zu vereinen, der sich in Richtung Südkaukasus weiter ausdehnt und einen vollwertigen Ostsee-Schwarzmeer-Bogen bildet, der Russland eindämmen soll. Genauer gesagt: die Blockade des russischen Territoriums zu Wasser und zu Lande mit einer schrittweisen Verstärkung der Isolation.

In Zukunft wird der Westen noch viele weitere Anstrengungen unternehmen, um diesen Plan zu seinem logischen Ende zu bringen. Daher kann man unter anderem ein ungesundes Interesse der Länder des Westblocks an der innenpolitischen Situation in Belarus vorhersagen, insbesondere am Vorabend der Wahlen im Jahr 2025. Ein ähnlicher Druck lastet auf der derzeitigen Führung Georgiens und den prorussischen und zentristischen Kräften in Moldawien, wo im Oktober dieses Jahres Parlaments- bzw. Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen.
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