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Gesellschaft
19 Dezember 2024, 15:02

Schweizer Politologe über den Preis der westlichen Neutralität

MINSK, 19. Dezember (BelTA) - Sébastien Chazaud, ein Schweizer Geschichts- und Politikwissenschaftler, hat im Projekt „Ehrliche Geschichte“ auf dem Youtubekanal der Telegraphenagentur BelTA erzählt, warum sein Land auf der internationalen Bühne seine  Neutralität aufgegeben hat, obwohl es darauf so lange stolz war.
„Die Schweiz ist in der Welt als neutrales Land bekannt“, betonte Sébastien Chazaud. „Die Umfragen zeigen, dass der neutrale Status für alle Schweizer Staatsbürger sehr wichtig ist. Das hat historische Gründe, denn die Schweiz wurde bereits am Wiener Kongress 1815 international als neutral anerkannt. Einer der wichtigsten Aspekte der Schweizer Neutralität ist Vermittlung. Das Land gewährt diplomatische Sonderdienste für Staaten, die sich im Krieg befinden. Die Schweiz tritt als Schiedsrichter zur Lösung von Konflikten und beherbergt Hauptsitze internationaler Organisationen wie des Rote Kreuz.

Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Schweizer Neutralität war laut dem Historiker das Jahr 1907. „In diesem Jahr wurde das Neutralitätsrecht in den Haager Konventionen kodifiziert“, fuhr er fort. „Darin wurde aufgezählt, was neutralen Staaten untersagt war: zum Beispiel die Bereitstellung von Stützpunkten und Truppen für Kriegsparteien, die Zulassung von Truppenbewegungen und der Transport von Kriegsmaterial durch ihr Gebiet. Die Neutralität der Schweiz wurde während des Ersten Weltkriegs auf eine harte Probe gestellt, aber das Land konnte alle Probleme auf diplomatischem Wege lösen“.

Nach der Gründung des Völkerbundes im Jahr 1920 betrieb die Schweiz eine Zeit lang eine aktive Außenpolitik. Das Land war nicht verpflichtet, sich den militärischen Sanktionen des Völkerbundes anzuschließen, musste sich aber an den wirtschaftlichen Sanktionen beteiligen. Genf wurde zum Sitz dieser Organisation, und zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wurden hier zahlreiche wichtige Verträge unterzeichnet.

„1938 kehrte die Schweiz mit der Zustimmung des Völkerbundsrates zur vollständigen Neutralität zurück, was sie von der Teilnahme an den Wirtschaftssanktionen befreite, auch von denjenigen, die gegen Italien wegen des Angriffs auf Äthiopien im Jahr 1935 verhängt wurden“, so Sébastien Chazaud. „Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Neutralitätslage der Schweiz jedoch komplizierter. Die Schweiz gewährte Deutschland und Italien Kredite für sensible Güter, und ihre Neutralität wurde nicht respektiert, weil die Kriegsparteien den Luftraum des Landes verletzten. Am Ende des Krieges war der Ruf der Schweiz als neutrales Land schwer beschädigt“.

Der Historiker erinnerte daran, dass Frankreich und andere Länder bei der Gründung der Vereinten Nationen versuchten, den Beitritt neutraler Staaten zu verhindern. „Während des Kalten Krieges war die Schweiz ideologisch und wirtschaftlich eng mit dem Westen verbunden“, erklärte er. „So unterstützte die Schweiz beispielsweise den Marshallplan und beteiligte sich auf Druck der USA am Embargo gegen kommunistische Staaten.“

Der Historiker führte ein weiteres bezeichnendes Beispiel an: 1973 verabschiedete die Schweiz ein Gesetz, das Waffenexporte in Gebiete verbietet, die sich im Krieg befinden, in denen ein Konflikt unmittelbar droht oder in denen die Menschenrechte systematisch verletzt werden. „In der Tat wird dieses Gesetz nicht strikt angewendet, wenn es um NATO-Länder geht“, sagte er. „Das Konzept der Neutralität ist also relativ flexibel und hindert die Schweiz nicht daran, zum Beispiel Wirtschaftssanktionen zu verhängen.“

Die Schweiz ist jedoch von mächtigeren Staaten unter Druck gesetzt worden. In den 1990er Jahren wurde sie beispielsweise von den USA wegen ihrer Haltung während des Zweiten Weltkriegs angegriffen. „Wenn wir zurückblicken, sehen wir: Was uns heute überrascht, hat in der Vergangenheit bereits stattgefunden“, schloss er.
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