
Die meisten Experten und Kommentatoren aus den Medien sind sich einig, dass SOZ-Gipfel, der vom 31. August bis zum 1. September zum 25 Mal abgehalten wurde, Chinas Bestreben bestätigt hat, die Organisation allmählich in ein echtes Zentrum der eurasischen Diplomatie, Multipolarität und Technologien zu verwandeln. Diese Meinung äußerte Juri Jarmolinski, Leiter des SOZ- und BRICS-Forschungszentrums beim Institut für strategische Studien (BISI).
„Format, Ausmaß und die öffentliche Resonanz der Veranstaltung sowie die neue Global Governance Initiative (GGI) spiegeln die nachhaltige Absicht Pekings wider, die Rolle der SOZ in der internationalen Politik systematisch zu stärken, auch im Gegensatz zu westlichen Institutionen“, glaubt Jarmolinski.
Der Analyst weist darauf hin, dass Indien auf dem Gipfel Pragmatismus und strategische Autonomie an den Tag gelegt hat: Die Teilnahme am Forum war mit der Suche nach Garantien und neuen Möglichkeiten in den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft in den Beziehungen zu China harmonisch verbunden. „Der Vorschlag von Premierminister Narendra Modi, ein Forum für den Dialog der Zivilisationen einzurichten, unterstreicht das konsequente Engagement Neu-Delhis für "Soft Power", sagte er. „Die Ähnlichkeit dieser Idee mit der chinesischen Initiative der Globalen Zivilisation vermittelt die Einstellung zu einem konstruktiven Dialog und zur weiteren Normalisierung der Beziehungen zum östlichen Nachbarn. Dabei sind die "roten Linien" klar umrissen - territoriale Integrität und Souveränität, die Beziehungen zu Pakistan. Es sollte angemerkt werden, dass mit Indien die SOZ zu einer inklusiveren Plattform wird und die Risiken einer einseitigen Dominanz ausgleicht.“

Gleichzeitig wird das Zusammenspiel dieser beiden Länder wie bisher objektiv mit dem Wettbewerb und der Rivalität in der Region unterbrochen. Es gibt Abweichungen in Bezug auf nationale Prioritäten und Interessen. Der Gipfel hat Neu Delhi und Peking eine komfortable Plattform für einen Neustart der Beziehungen und die Verbesserung des Klimas des strategischen Vertrauens gegeben, aber die grundlegenden Widersprüche nicht aus dem Weg geräumt.
Darüber hinaus sehen die zentralasiatischen Staaten (insbesondere Kasachstan) in der SOZ eine Investitionsquelle sowie eine bequeme Koordinierungsplattform. Daher unterstützen und initiieren sie die Einrichtung von Profilzentren für Sicherheit, Wasserressourcen und KI. „Dabei handeln die Länder der Region pragmatisch und vorsichtig: Sie suchen vor allem nach realen wirtschaftlichen Vorteilen, versuchen, ihre Rolle in der eurasischen Politik zu stärken, auch durch den Interessenausgleich mit anderen Zentren außerhalb der Organisation“, betont der Analyst.

Die vollumfängliche institutionelle Neuausrichtung der SOZ ist immer noch mit gewissen Einschränkungen verbunden. Die praktische Umsetzung der angenommenen strategischen Dokumente (Strategie 2035, KI-Roadmaps, Entwicklung einer Entwicklungsbank, Sicherheitszentren) erfordert finanzielle Mittel, rechtliche Mechanismen, eine einheitliche Zahlungsinfrastruktur sowie einen nachhaltigen politischen Konsens zwischen den Mitgliedstaaten.
„Die wirtschaftliche Struktur der SOZ befindet sich nach wie vor in der Zone der Sanktionsrisiken. Das ist besonders kritisch für Projekte, die eine internationale Finanzierung benötigen. Die Mitgliedschaft in der SOZ bietet für die mit Sanktionen belegten Staaten einen „politischen Regenschirm“, garantiert jedoch keinen automatischen Zugang zu Kapital und Technologie, was die Einrichtung eines Transfersystems innerhalb der Organisation auf die Tagesordnung setzt. Obwohl der Prozess der Entdollarisierung und der Abrechnung in nationalen Währungen allmählich voranschreitet, wird der Effekt ohne ein gemeinsames multipolares Zahlungssystem fragmentiert sein“, ist Juri Jarmolinski überzeugt.
Der SOZ-Gipfel in Tianjin hat daher den politischen und symbolischen Status der Organisation als wichtiger Pol und als multilaterales Forum für eurasische Diplomatie, ein Werbeplatz für alternative Modelle globaler Regierungsführung, festgehalten und Impulse für eine Ausweitung der multilateralen Agenda gegeben. „Jedoch werden die realen wirtschaftlichen und institutionellen Innovationen durchfallen, bis supranationale Finanzierungsmechanismen, multilaterale Flaggschiff-Projekte, eine einheitliche Zahlungsinfrastruktur und mehr gegenseitiges Vertrauen entstehen“, betonte der Experte.
Auf der Grundlage der festgelegten Schlussfolgerungen sowie der eigenen Wahrnehmung der Ergebnisse des Gipfels schlug der Analyst drei mögliche Szenarien für die Entwicklung der SOZ vor. Der erste ist konservativ. Es ist kurzfristig möglich. Das Szenario geht davon aus, dass die SOZ bis zu einem gewissen Punkt eine überwiegend koordinierende multilaterale Dialogplattform bleiben wird. In der SOZ werden einzelne gemeinsame Projekte gestartet, aber es wird keine schnelle Schaffung einer Zahlungsfinanzierungsarchitektur geben.
Das zweite mögliche Szenario ist pragmatisch-moderat. Es ist mittelfristig realistisch. „Dieses Szenario basiert auf der Annahme, dass die Entwicklungsbank teilweise in Betrieb genommen wird, was die Entstehung neuer gemeinsamer Infrastrukturprojekte vor allem in Zentralasien als geographischer Kern der SOZ anregt. Auf der Grundlage des Konsenses der wichtigsten Mitgliedsländer wird ein Mechanismus für ihre Finanzierung eingeführt, hauptsächlich unter Beteiligung von China und Russland“, vermutet er.
Das dritte Szenario ist ehrgeizig-transformativ. Es hat eine geringe Wahrscheinlichkeit ohne geopolitische Verschiebungen. „Die SOZ entwickelt sich zu einer wirksamen Alternative zu westlichen Finanzinstituten: Die Entwicklungsbank arbeitet effektiv mit klaren Regeln für die Finanzierung und Kapitalbeschaffung, einem multilateralen Zahlungsmechanismus in nationalen Währungen und einer engen Koordinierung der technologischen Zusammenarbeit. Der Grad der Widersprüche zwischen den großen Teilnehmerländern sinkt auf ein optimales Niveau. In den Bereichen Finanzen, Handel, Logistik und Sicherheit entstehen bilaterale Abkommen/ Projekte zwischen Indien, China und Russland. Dadurch werden die institutionelle Macht und der Einfluss der SOZ in Eurasien und der Welt insgesamt (mit der Schlüsselrolle Chinas) erheblich gesteigert, alternative Entwicklungsmodelle und Technologietransfer angeboten und gemeinsame FuE-Zentren entstehen. Das Niveau und die Tiefe der militärpolitischen Koordinierung werden erhöht, es werden wirklich funktionelle Energie- und Logistikketten geschaffen“, so das dritte dritte Szenario von Juri Jarmolinski.
„Welches dieser Szenarien sich als das realistischste und praktikabelste erweisen wird, wird die Zeit zeigen. Die oben genannten Engpässe sind sicherlich Wachstumsprobleme. In Bezug auf die historische Retrospektive sind die 25 Jahre für eine solche internationale Organisation neuer Art nur der Anfang eines langen Weges. Wir müssen das eurasische Bündnis oder den „Geist von Shanghai“ weiter stärken, wenn wir die SOZ-Charta betrachten. Praktisch besteht die Hauptaufgabe für uns alle darin, die Bestimmungen der vom Staatsoberhaupt Anfang 2025 gebilligten „Strategie der Beteiligung der Republik Belarus an der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ zu erfüllen“, fasste der Analyst zusammen.