Polnischer Ex-Richter Tomasz Szmydt, der Anfang Mai Polen verlassen und in Belarus den rechtlichen Schutz beantragt hat, kommentiert in seiner Autorenkolumne die vergangenen Wahlen zum Europäischen Parlament und ihre vorläufigen Ergebnisse.
Zunächst einmal sollte man sich die Frage stellen: Waren die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 wichtig? Bisher haben die Abgeordneten des Europaparlaments eher eine ehrenvolle Rolle gespielt, als dass sie die Innen- und Außenpolitik der EU beeinflusst hätten. Politiker, die sich aus dem nationalen politischen Leben zurückzogen, erhielten das Recht, für das Europäische Parlament zu kandidieren. Man kann sagen, es handelt sich um eine Art Rente und Belohnung. Die hohen Gehälter der Europa-Abgeordneten garantierten ihnen wirtschaftliche Stabilität, aber gleichzeitig „verschwanden“ sie aus dem politischen Geschäft ihrer Länder.
Die Wahlen 2024 haben jedoch eine ganz andere Dimension. Brüssel erhält immer mehr Befugnisse, die bisher den nationalen Regierungen zustanden. Das gleicht einem Prozess, den ich „einen Frosch in kaltem Wasser kochen“ nenne. Die Temperatur wird vorsichtig erhöht, so dass der Frosch den Moment, in dem er gekocht wird, nicht spürt. Brüssel tut dasselbe, indem es sich langsam aber sicher immer mehr Befugnisse und Kompetenzen anmaßt und die Rolle der nationalen Regierungen eher auf eine exekutive Funktion reduziert. Dabei geht es nicht nur um rechtliche Regelungen, sondern auch um die Ausrichtung der Innen- und Außenpolitik der EU.
Sicherlich haben wir bei den Wahlen einen Durchbruch bei den EU-kritischen Parteien erzielt. Die meisten dieser Parteien lehnen eine direkte Einmischung der NATO in den Ukraine-Konflikt und jede Unterstützung dieses Konflikts durch die EU ab. Sie treten gegen bewaffnete Konfrontation mit Russland und Belarus ein. Sie sind für Verhandlungen, Wiederherstellung des Friedens und internationale Zusammenarbeit. Ich habe mir gestern gegen 12 Uhr die statistischen Daten angesehen. Es kann sein, dass sie sich noch ändern, aber ich glaube, diese Änderungen werden unbedeutend sein.
Frankreich erlebt ein politisches Erdbeben. Vorläufigen Zahlen zufolge gewinnt das Rassemblement national von Marine Le Pen die Wahl mit 32 Prozent und Macrons Kriegstreiber erhalten nur etwa 15 Prozent der Stimmen. Der Schock in Frankreich ist so groß, dass Macron nach einer so deutlichen Niederlage das nationale Parlament auflöst und vorgezogene Neuwahlen ausruft.
In Deutschland erzielt die Partei von Olaf Scholz (SPD) das schlechteste Ergebnis in der Geschichte. CDU-Chef Friedrich Merz nennt das Ergebnis eine Katastrophe und fordert einen Politikwechsel. Er erklärt öffentlich, dass „es so nicht weitergehen kann.“
In Österreich ist das Wahlergebnis auch sehr interessant. Nach vorläufigen Angaben gewinnt die ultrarechte FPÖ die Europawahl.
Die Europäische Volkspartei mit Ursila von der Leyen bleibt mit 181 Sitzen die größte Partei im Europäischen Parlament. Gleichzeitig verstärken die EU-kritischen Parteien ihre Präsenz im Europäischen Parlament mit insgesamt 149 Sitzen. Nach diesem Ergebnis erklärt EU-Chefin von der Leyen, dass sie „ein Bollwerk gegen die Extreme von links und rechts“ (was auch immer das heißen mag) aufbauen wird.“
Das Ergebnis der Europawahl könnte ein Durchbruch für die EU-weite Politik sein. Die Parteien, die den Erhalt der nationalen Identität und Traditionen postulieren und für die Wiederherstellung der Zusammenarbeit mit Russland und Belarus eintreten, rücken in den Vordergrund. Noch gewinnen die Kriegstreiber im Europäischen Parlament die Oberhand, aber es besteht die Hoffnung, dass sich diese für die EU katastrophale Richtung ändern könnte.