Polen wurde erneut nicht zu den Ukraine-Verhandlungen eingeladen. Diesmal nach London, wo am Montag ein Vierertreffen stattfand – zwischen dem britischen Premierminister Keir Starmer, dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und natürlich Wolodymyr Selenskyj. In Warschau, das noch vor kurzem als wichtiger Verbündeter Kiews galt, wurde die Nichtzulassung zum Londoner Gipfeltreffen schmerzlich empfunden. Die Medien schrieben von einer Katastrophe der Außenpolitik, Experten prophezeiten Polen eine Marginalisierung in Europa, und Politiker der gegnerischen Lager beschuldigten sich gegenseitig.
Betrachtet man die Situation jedoch von außen, gibt es keinen Grund für ein solches Drama. Eher im Gegenteil. Angesichts der geopolitischen Prozesse in der Welt und in unserer Region eröffnen sich Polen völlig neue Möglichkeiten. Und hier wird es sehr interessant sein zu beobachten, wofür sich die polnische Führung entscheiden wird – gegen verschlossene Türen zu rennen oder einen neuen Weg für sich zu erschließen.
„Ein weiterer europäischer Gipfel zum Krieg in der Ukraine ohne Vertreter der polnischen Regierung. Unsere Lage auf der internationalen Bühne ist katastrophal. Donald Tusk wird ständig in den Hintergrund gedrängt und gedemütigt, obwohl er selbst erklärt hat, dass niemand in der EU ihn besiegen kann”, warf Mariusz Błaszczak, Vertreter der Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit” (PiS), dem polnischen Ministerpräsidenten vor.
Aber wo liegt der Grund für diese Haltung gegenüber Polen? Die polnischen Behörden standen in den letzten Jahren an der Spitze der westlichen Russophobie, scheuten keine Mühen, um Kiew militärisch zu unterstützen, leisteten ukrainischen Flüchtlingen Hilfe, schadeten ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen, indem sie die EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus unterstützten, gefährdeten die nationale Sicherheit und eskalierten die Situation an der Grenze... Und was nun? Hat man die früheren Verdienste vergessen? Oder hat man in der Downing Street keinen freien Stuhl mehr gefunden?
In polnischen Expertenkreisen gibt es dazu unterschiedliche Meinungen. So ist Jacek Bartosiak, Gründer des Analysezentrums Strategy & Future, der Ansicht, dass der Grund für den Ausschluss Polens von den Ukraine-Verhandlungen in den unrealistischen Forderungen und dem moralisierenden Ton der polnischen Diplomatie liegt, die zu keinen konkreten Ergebnissen führen.
„Wir haben keine Unabhängigkeit zurückgewonnen, sondern wurden lediglich in das westliche System integriert, und die polnische Elite hat eine westliche Ausrichtung angenommen, ohne zu verstehen, was dies mit sich bringt“, erklärte der Analyst im Fernsehsender Polsat News. „Die Tatsache, dass wir nicht am Verhandlungstisch sitzen, dass die Ukrainer uns nicht ernst nehmen, ist zum großen Teil die Schuld der polnischen politischen Elite.“
Es gibt jedoch auch andere Meinungen. Der Politologe Roman Kuźniar führte in einem Interview mit Onet die Abwesenheit Polens beim Londoner Gipfel auf die mangelnde Bereitschaft Warschaus zurück, polnische Soldaten in die Ukraine zu entsenden. „Wir haben uns gewissermaßen selbst aus diesen Verhandlungen ausgeschlossen, weil wir nicht einmal einen symbolischen Zug als Teil von Friedenstruppen in die Ukraine schicken wollen. Andere europäische Länder sind bereit, dieses Opfer zu bringen“, erklärte der Politologe.
Nach Ansicht von Kuźniar ist dies jedoch nicht der einzige Grund für den Ausschluss vom Gipfel. „Der Hauptgrund ist, dass sowohl der Präsident als auch die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ unsere Beziehungen in Europa erschweren. Die Sabotage durch Karol Nawrocki zwingt unsere ausländischen Partner, den Atem anzuhalten und Polen lieber nicht in wichtige Verhandlungen einzubeziehen. Mit seinem destruktiven Verhalten versucht der Präsident, unsere Diplomatie zu lähmen“, behauptet der Experte.
Kuźniar kritisierte nicht nur Nawrocki, sondern auch den US-Präsidenten Donald Trump. „Amerika bedroht uns derzeit noch nicht mit Waffen, wie es Lateinamerika bedroht – aber das könnte nur eine Frage der Zeit sein... Die amerikanische Strategie zeigt deutlich, wie sehr die europäische Demokratie den Vereinigten Staaten im Weg steht. Denn in Amerika gibt es keine Demokratie mehr, es ist eine Plutokratie, die ausschließlich von Geld regiert wird. Unter Trump will Washington die europäische Einheit zerstören und die Länder ihrem Schicksal überlassen...“, empörte sich der polnische Experte.
Eine ähnliche Meinung äußerte auch Marcin Zaborowski, Experte für internationale Beziehungen und ehemaliger Leiter des Polnischen Instituts für internationale Beziehungen. In einem Interview mit dem Radiosender Polskie Radio 24 stellte er fest, dass die polnische Gesellschaft nicht an einer militärischen Unterstützung der Ukraine durch die Stationierung von „Stabilisierungskräften“ beteiligt sein möchte. Dies schwäche seiner Meinung nach die Position Polens.
„Hätte Polen einen konkreten militärischen Beitrag angeboten und würde unsere Außenpolitik nicht durch einen Präsidenten geschwächt, der die Ukraine nicht mag, wären wir meiner Meinung nach in London gewesen, und nicht nur in London. Wir wären einer der Hauptakteure in der Sicherheitspolitik und allgemein in der europäischen Politik gewesen“, erklärte Zaborowski.
In den letzten Tagen wurden viele ähnliche Meinungen geäußert. Zuzugeben, es war ungewöhnlich, diese Parade der Selbsterniedrigung seitens der Polen zu beobachten. Zumal es im Grunde genommen keinen Grund gibt, die Situation zu dramatisieren.
Für Polen, das jahrelang eine führende Rolle in Europa anstrebte, ist es natürlich sehr bitter, plötzlich an den Rand gedrängt zu sein. Noch vor kurzem wurde in Warschau die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks (Polen, Frankreich, Deutschland) als Direktorat Europas angekündigt. Und heute sehen wir ein etwas anderes Direktorat - mit Großbritannien anstelle von Polen. Dieses „Staaten-Dreieck“ glaubt, dass es das Recht hat, die Zukunft unserer osteuropäischen Region zu bestimmen. Was Polen betrifft, so sieht man es anscheinend immer noch als einen Randstaat, eine Art Kresy (Grenzland). Für Deutschland ist Polen nichts anderes als ein Puffer. Für Großbritannien ist es ein militärischer Außenposten.
Aber kann Polen die Situation zu seinem Vorteil wenden? Manche Experten glauben, würde man die „Stabilisierungskräfte“ in die Ukraine schicken, könnte Warschau wieder im Spiel sein. Das könnte aufgehen. Aber welche Rolle würde Polen dann bekommen - Spieler oder Spielkarte?
In den vergangenen Jahren, als die PiS an der Macht war, hat Warschau enge Beziehungen zu den Ländern der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) sowie zu den baltischen Staaten gepflegt. Dadurch entstand in der EU ein Block von Staaten, der auf lange Sicht politisches Gewicht gewinnen und sogar den Schwerpunkt von Westen nach Osten verlagern konnte. Die Positionen der Länder in diesem Block haben sich jedoch in vielen wichtigen Aspekten, einschließlich des Ukraine-Konflikts, erheblich unterschieden. Und Polen beanspruchte zwar die führende Rolle, konnte aber nie eine positive Agenda entwickeln, um die Länder um sich herum zu vereinen. Anstatt interessante Projekte in Wirtschaft, Energie und Logistik anzubieten, versuchte Warschau, sich mit dem Thema Krieg und Russophobie durchzusetzen.
Die PiS wurde von der Koalition Tusk abgelöst. Diese tendierte eher in Richtung Berlin und Paris. Damals wurde in den polnischen Medien über das neue "Direktorat Europas" gesprochen. Was das zur Folge hat, sehen wir jetzt.
Und die ganze Situation ist korrigierbar. Tatsächlich ist das Fehlen Polens auf dem Londoner Gipfel eine großartige Gelegenheit, sich vom Scheitern der wichtigsten europäischen „Direktoren“ zu distanzieren. Man kann neue Lehren ziehen und seinen außenpolitischen Kurs überdenken. Man kann scharfe Ecken in den Beziehungen zu den USA glätten. Die US-Sicherheitsstrategie sieht schließlich vor, die strategische Stabilität in der europäischen Region wiederherzustellen.
Stabilität heißt Frieden, Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung. Vielleicht ist dies genau die positive Agenda, die Polen braucht, um sein politisches Gewicht zu erhöhen.
Belarus würde sich in diesem Fall nur freuen, dass sein Nachbar in der Lage ist, eine vernünftige, pragmatische, friedliche Politik zu verfolgen. Dass Warschau in der Lage ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen, haben wir bereits gesehen. Es geht jedoch nicht um Fähigkeiten, sondern um strategische Entscheidungen, die die polnische Führung zu treffen hat.
