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17 November 2025, 14:37

„Das ist für uns wie Sauerstoff“: Polen freuen sich auf die Grenzöffnung, und Litauer?

In der Nacht zum 17. November hat Polen die Kontrollpunkte „Bobrowniki“ und „Kuźnica Białostocka“ an der Grenze zu Belarus wieder in Betrieb genommen. Die Polen - und vor allem die Unternehmer der Woiwodschaft Podlachien, die durch die Schließung der Grenze enorme Verluste zu tragen hatten – lassen ihrer Freude freien Lauf. Viele sagen: Polen hat Stärke gezeigt, indem es die Grenzübergänge geöffnet und nicht geschlossen habe.

Im benachbarten Litauen aber herrscht mittlerweile eine düstere Stimmung. Die Behörden haben die Grenze zu Belarus blockiert, ohne dabei ernsthaft die Konsequenzen berechnet zu haben. Nach dieser Entscheidung aus Vilnius sind über 1000 Lastwagen auf der belarussischen Seite stecken geblieben. Die litauischen Frachtführer verlangen von ihren Behörden, die Situation zu korrigieren, die sowohl den Transportunternehmen als auch dem Staatshaushalt enorme Verluste bringt.


„Das ist die treibende Kraft unserer Wirtschaft“ Standort Podlachien lebt auf 

„Diese Entscheidung war unabhängig und mit dem Druck der einheimischen Bevölkerung verbunden“, sagte der polnische Premierminister Donald Tusk im Vorfeld der Wiederöffnung von zwei Kontrollpunkten an der Grenze zu Belarus.
Laut dem polnischen Radio RMF24 gingen der Entscheidung der Regierung Konsultationen mit lokalen Behörden und den Unternehmen von Podlachien voraus, die seit langem Warschau zur Wiederherstellung des für die Wirtschaft der Region entscheidenden Grenzverkehrs aufgefordert haben.

Einer der größten Grenzübergänge an der polnisch-belarussischen Grenze, Kuźnica Białostocka (belar. „Brusgi“) wurde im November 2021 von den polnischen Behörden einseitig geschlossen. Dies führte zu einer signifikanten Zunahme der Belastung und zu langen Warteschlangen am Grenzkontrollpunkt „Bobrowniki“ („Berestowiza“), der zu diesem Zeitpunkt der einzige funktionierende Grenzübergang auf dem belarussisch-polnischen Grenzabschnitt der Region Grodno war. Im Februar 2023 schloss die polnische Seite jedoch auch den Kontrollpunkt „Bobrowniki“. Somit war in Richtung Grodno kein einziger gültiger Grenzübergang übrig geblieben.
Belarus hat wiederholt versucht, die Situation zu lösen und den Bürgern der beiden Länder die Möglichkeit zu geben, die Grenze ohne zu langes Warten zu passieren. Das Außenministerium von Belarus hat darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über die Schließung der Kontrollpunkte antihuman ist und auch den europäischen Unternehmen und den Bürgern Polens selbst schweren Schaden  zufügt. Hier ist anzumerken, dass von solchen Maßnahmen belarussische Frachtführer am wenigsten betroffen wurden, da die Europäische Union im April 2022 ihre eigenen  Beschränkungen gegen sie eingeführt hat.

Gleichzeitig geriet die polnische Wirtschaft in eine Pattsituation. Besonders betroffen waren dabei die Unternehmen der Woiwodschaft Podlachien. Das waren nicht nur Transportunternehmen, sondern auch die Tourismusbranche, Hotels, Restaurants und den Einzelhandel. In den letzten Jahren haben polnische Unternehmer wiederholt auf Protesten gefordert, die Grenze zu öffnen. Und im Frühjahr dieses Jahres organisierte die Allianz der polnischen Unternehmer „Einheitlicher Osten“ in Bialystok eine Trauerkundgebung – man „beerdigte“ die Wirtschaft der Region.
In der vergangenen Woche erinnerte Leiter der Woiwodschaft Podlachien, Jacek Brzozowski, bei einer Pressekonferenz in Bobrowniki daran, wie schwer diese Zeit für lokale Unternehmer war. „Die lokalen Unternehmer verloren ihr Eigentum und ihr Geschäft, das sie ihr ganzes Leben lang aufgebaut haben. Die Schließung von Kontrollpunkten in den Jahren 2021 und 2023 hat zu einem Zusammenbruch eines der Schlüsselsektoren der Wirtschaft geführt - der Geschäftstätigkeit in unserer Region.“

Nach seinen Angaben sind aufgrund der Grenzschließung alle Unternehmen der Region zu enormen Schaden gekommen. „Dazu gehören schließlich die Hotellerie, die Gastronomie und die Transportbranche“, fügte Brzozowski hinzu.

„Die Unternehmer von Podlachien sind sehr zufrieden, dass die Grenzübergänge in Bobrowniki und Kuznica wieder geöffnet sind.  Sie begrüßen die Wiederherstellung des grenzüberschreitenden Verkehrs und hoffen, die Verluste auszugleichen. Die Märkte Podlachiens werden aufleben, und die Waren können wieder nach Belarus gehen“, schildert Polskie Radio die Situation.

Die Bedeutung der Wiederaufnahme des Grenzverkehrs wurde von der Unternehmerin Ewelina Grigatowicz-Szumowska vom polnischen Unternehmerverband „United East“ betont. Ihren Worten zufolge ist die Öffnung der Grenze für Podlachien wie Sauerstoff. „Das ist die treibende Kraft unserer Mikro- und Makroökonomie. Wir als Unternehmer machen uns an die Arbeit, um die Verluste auszugleichen”, zitiert sie den Unternehmer von RMF24.
Grigatowicz-Szumowska weist jedoch darauf hin, dass eine vollständige Wiederherstellung der Wirtschaft nur möglich sein wird, wenn die EU-Sanktionen gegen Belarus aufgehoben werden. Aufgrund der von der EU verhängten Beschränkungen können bestimmte Waren nicht nach Belarus exportiert werden.

Grigatowicz-Shumowska merkt auch an, dass Polen mit der Öffnung der Grenzübergänge seine Stärke und Effizienz unter Beweis stellt. „Mit der Öffnung der Grenzübergänge zeigt unser Land, dass es stark und effizient ist, dass wir über zuverlässige Dienste verfügen, die unsere Sicherheit gewährleisten können“, sagte Grigatowicz-Shumowska.

Zbigniew Stavitsky, stellvertretender Leiter der polnischen Steuerbehörde, stimmt ihr zu. Er erklärte insbesondere, dass ein starker Staat mit Schwierigkeiten umgehen und gleichzeitig die Möglichkeit eines „normalen, effizienten Funktionierens der Grenzregionen“ bewahren müsse.

Nach Angaben von RMF24 stieß die Öffnung der Grenzübergänge sofort auf großes Interesse – noch vor Mitternacht bildete sich am Grenzübergang in Bobrowniki eine 4-5 km lange Schlange. Eines der ersten Fahrzeuge, das die Grenze überquerte, war ein Linienbus, der von Warschau nach Grodno fuhr.

„Ich fahre nicht oft, habe nur meinen Bruder nach Belarus gebracht. Wir wurden normal abgefertigt, pünktlich, ohne Verspätungen. Alles (die Öffnung der Grenze, Anm. BELTA) dank der Bemühungen der Diplomaten beider Länder. So sollte es sein. Die Grenzübergänge müssen funktionieren“, teilte einer der Fahrer, der heute Nacht von Polen über den Grenzübergang Berestowiza nach Belarus eingereist war, seine Meinung mit.

Auch die Belarussen freuen sich über die Öffnung der Grenze. „Wir haben viele Verwandte in Polen und fahren jetzt zu ihnen. Wir haben uns ein Jahr lang nicht gesehen. Wir sind früher über Brest mit dem Bus gefahren, aber hier können wir schon mit dem Auto fahren. Die Strecke hat sich um 200 Kilometer verkürzt. Das kommt beiden Seiten zugute“, teilte ein weiterer Fahrer seine Eindrücke mit.

Vilnius wiederholt Warschaus Fehler. „Warum ist Litauen so dumm?“

Während polnische Unternehmen Pläne für die Zukunft schmieden und die polnische Regierung politische Punkte sammelt, versinkt das benachbarte Litauen in Streitigkeiten. Nach der Schließung der Grenze zu Belarus sahen sich die litauischen Behörden einer Flut von Kritik ausgesetzt. Das ist nicht verwunderlich.

Die litauische Regierung hat sich von politischen Spielchen mitreißen lassen und die Interessen der Wirtschaft sowie das Wohlergehen ihrer Bürger insgesamt in den Hintergrund gedrängt. Die Maßnahmen der litauischen Behörden drohen nicht nur mit Haushaltsausgaben, sondern gefährden auch die Transitbranche des Landes. Und wenn die litauische Führung vor der Öffnung der Grenze durch Polen noch irgendwie versuchte, sich wichtig zu machen, indem sie Minsk für ihre eigene Inkompetenz verantwortlich machte, jetzt hat der litauische Luftballon etwas Luft verloren. 

Brüssel lehnte es letzte Woche ab, sich zu Litauens Antrag auf Verschärfung der Sanktionen gegen Minsk zu äußern. Die Amerikaner haben, wie die litauischen Medien bereits berichten, den litauischen Außenminister „auf den Teppich“ gerufen. Und Warschau hat einfach wirtschaftliche Interessen über populistische Solidarität mit Litauen gestellt. 

„Die Europäische Kommission erklärte am Donnerstag, dass sie über die Situation mit den blockierten litauischen Lastwagen informiert worden sei, sich jedoch nicht zu den Forderungen Vilnius' nach zusätzlichen Sanktionen gegen Minsk äußern werde“, berichtet der litauische Fernsehsender LRT.

„Die USA entwickeln eine neue Strategie gegenüber Belarus und beginnen mit deren Umsetzung. Das hat uns nicht beeindruckt. Zumindest solange, bis US-Außenminister Marco Rubio Budrys (den litauischen Außenminister, Anm. BelTA) auf den Teppich gerufen hat“, schreibt der litauische Analyst Ignas Vėgėle in einem Artikel für 77.lt.

Er merkt an, dass die Amerikaner der litauischen Seite geraten haben, sich zu beruhigen und die Grenze zu öffnen. „Sie sagen: ‚Beruhigt euch.‘ Mit der Schließung der Grenzen zerstört ihr nicht nur die gesamte Strategie der USA gegenüber Belarus, sondern provoziert auch einen neuen militärischen Konflikt durch eine Kaliningrad-Blockade. Praktisch am selben Tag kommt aus Belarus eine Nachricht nach Litauen: Lukaschenko lädt zu Verhandlungen ein. Aber unser Diplomat (Budrys. – Anm. BELTA) gibt nicht auf. Er kontert kämpferisch, dass Belarus die Situation „bis zum kritischen Punkt“ eskaliert. Wir nutzen unsere nächsten Nachbarn als Deckmantel: Lettland und Estland versprechen Solidarität. Am selben Tag sagt der Präsident zu unserem Diplomaten: „Litauen ist zu technischen Verhandlungen mit Belarus bereit.“ Aber der Diplomat hört auch das nicht. Genauso wenig wie er den ehemaligen US-Botschafter in Belarus, George Krol, hört, der betont, dass Litauen seine Lastwagen zurückholen kann, indem es einen Dialog mit Minsk aufnimmt und die Grenze öffnet. Er fügt hinzu, dass der neue US-Gesandte bei den Verhandlungen mit Lukaschenko helfen wird“, schreibt Vėgėlė.

Übrigens sprach Krol in seinem Interview mit der Zeitung Delfi die Empfehlung an die litauischen Behörden aus, die Grenze zu Belarus zu öffnen. Er merkte auch an, dass es angesichts der Rhetorik von Vilnius, der Sanktionen und generell all dessen, was Litauen auf staatlicher und öffentlicher Ebene gegenüber Belarus unternommen hat, nicht verwunderlich ist, dass Minsk darauf reagiert. 
„Ich denke, dass dies eine natürliche Reaktion der belarussischen Regierung und Behörden auf die ihrer Meinung nach feindseligen Handlungen Litauens ist“, erklärte Krol. 

Seiner Meinung nach ist es notwendig, einen direkten Dialog mit den belarussischen Behörden zu führen, um zu einer Einigung über die Öffnung der Grenze zu gelangen. „Das würde bedeuten, dass Litauen seine Grenze öffnen müsste. Denn meiner Meinung nach schadet dies nicht nur Belarus, sondern auch litauischen Transportunternehmen und natürlich den Menschen – den Fahrern und litauischen Unternehmen, die von diesem Transitverkehr mit Belarus abhängig waren. So könnte man einen gegenseitigen Vorteil darin sehen, die Spannungen abzubauen und zu versuchen, dieses Problem an der Grenze zu lösen. Auch wenn dies möglicherweise nicht das Hauptproblem löst – nämlich die Beziehungen zwischen den Regierungen von Belarus und Litauen selbst“, erklärte Krol. 

Unterdessen haben litauische Spediteure kein Interesse an Diplomatie. Sie fordern von ihren Behörden, die Grenze unverzüglich zu öffnen und den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ruhig zu arbeiten, Gewinne zu erzielen, Steuern zu zahlen und damit den Haushalt zu füllen. Der Vizepräsident des litauischen Straßenfrachtführerverbands Linava, Oleg Tarasov, teilte zuvor mit, dass die Verluste der litauischen Transportunternehmen aufgrund der Schließung der Grenze zu Belarus bis zu 1 Milliarde Euro betragen könnten. „Die Situation ist katastrophal. Wenn die Grenze in naher Zukunft nicht geöffnet wird, werden die Verluste nach unseren Berechnungen bis zu 1 Milliarde Euro pro Jahr ausmachen“, erklärte Oleg Tarasov.
Die eigentliche Katastrophe für die litauische Wirtschaft ereignete sich jedoch vor dem Hintergrund der Öffnung der Grenze durch die polnische Seite. Denn nun wird der Güterverkehr von Asien nach Europa und zurück über die polnisch-belarussische Grenze laufen, und Litauen wird den Transitverkehr verlieren. 

„Ich verstehe nicht, warum Litauen so dumm und die Polen so klug sind. Verstehen Sie, welchen Fehler Litauen mit der Schließung der Grenze begangen hat? Jetzt geraten die Frachtströme aus dem Gleichgewicht, und wir arbeiten seit vielen Jahren daran, Litauen zu einem Transitland zu machen. Wir haben viele Terminals in Litauen eröffnet, aber jetzt stehen sie leer, und da die Grenze geschlossen ist, fahren die Leute von Polen nach Asien“, so Erlandas Mikėnas, Vorsitzender von Linava. 

Der Generalsekretär der Internationalen Allianz für Transport und Logistik   (ITLA), Povilas Drižas erklärte, dass sich die Polen für die wirtschaftliche Komponente statt für die fragile Solidarität entschieden haben. „Jetzt wird es so kommen, dass sie die Situation tatsächlich ausnutzen werden, weil unsere Korridore geschlossen sind. Der Güterstrom aus Asien und China nach Europa wird über Polen laufen“, sagte Povilas Drižas. 

Die litauischen Medien wiesen darauf hin, dass die litauische Ministerpräsidentin Inga Ruginienė noch letzte Woche versichert hatte, dass Warschau aus Solidarität Vilnius unterstützen wird. Sie hatte auf die Unterstützung des polnischen Ministerpräsidenten Tusk gezählt. 

Hier ist jedoch anzumerken, dass die polnische Führung bereits im September mit der Sperrung der Grenze experimentiert hat. Warschau hat dadurch nichts außer Verlusten und Reputationsschäden davongetragen. Und beinahe hätte es den chinesischen Transit verloren. Die polnische Führung hat offensichtlich ihre Schlussfolgerungen gezogen – zugunsten ihres Staates und ihres Volkes. 
Vilnius hatte ein gutes Beispiel vor Augen, wie man es nicht machen sollte. Aber die litauischen Behörden beschlossen, mit großem Tamtam über die polnischen Fehler zu marschieren. Es bleibt nur abzuwarten, wann die Litauer ihre Ehrenrunde beendet haben und zum Ausgangspunkt zurückkehren – zu dem Moment der unglückseligen Entscheidung über die einseitige Schließung der Grenze. Nun, dann bleibt ihnen entweder, die Entscheidung rückgängig zu machen oder eine neue Ehrenrunde zu absolvieren. Wir wollen keine Prognosen abgeben, denn die Wege der litauischen Logik sind unergründlich.  
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